Home
Predigten
 
 

Predigt über 1. Mose 50,15 - 21

am 27.6.2021
4. Sonntag nach Trinitatis

Ort:
Tüllingen – St. Ottilien


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Das gab es noch nicht, das habe ich bisher noch nicht erlebt – zur Vorbereitung einer Predigt 13 Kapitel zu lesen. Aber das musste sein. Keine Sorge, natürlich umfasst der Predigttext für den heutigen Gottesdienst keine 13 Kapitel. Aber um sich die Verse des Predigttextes zu erschließen erachte ich es für erforderlich, wenn man die ganze dazugehörige Vorgeschichte kennt, wahrnimmt was sich da zugetragen hat.

Aber zunächst einmal die Verse des Predigttextes:

- Text lesen: 1Mos 50, 15 – 21 -

In diesen sieben Versen mündet die bekannte Josefsgeschichte die in Kapitel 37 beginnt. Aber genau genommen ist es nicht nur eine Josefsgeschichte, es ist ein Familiengeschichte, die bereits in Kapitel 25,19 ihren Anfang nimmt.

Vielleicht haben Familiengeschichten ihren besonderen Reiz darin, weil sie immer auch Abbild oder auch Wunschbild der eigenen Familiengeschichte sind, bis in unsere Tage. Es sind Geschichten voller Freude und Leid, von gelingen und scheitern, Verzweiflung und Hoffnung, Geschichten, welche das Leben schreibt und uns herausfordern, unsere eigenen Geschichten zu leben und so auch meine eigene Geschichte zu schreiben.

Aber schauen wir uns diese Familiengeschichte etwas genauer – was wir wahrnehmen

  • ist eine Geschichte voller Um-Brüche
  • ist eine Geschichte mit Gott
  • wird eine Geschichte mit uns
  • 1. Eine Geschichte voller Um-Brüche

    Es ist eine faszinierende Geschichte – eine Geschichte wie sie die erfolgreichen Drehbuchautoren Hollywoods nicht besser hätten schreiben könnten, Stoff für einen richtigen Thriller. Und diese Geschichte beginnt schon Jahre davor, lange vor Josef. Sie beginnt bei einer Frau, Rebekka, der Frau Isaaks, sie ist mit Zwillingen schwanger – bei der Geburt hält er sich an der Ferse seines Zwillingbruders Esau fest, somit hatte er seinen Namen Jakob der Fersenhalter 25,26 – das Erstgeburtsrecht luchst er dann seinem Bruder durch ein Linsengericht (!) ab (25,29) und erschleicht sich den Segen des Vaters durch eine List, in dem er sich vor dem fast blinden Vater als Esau ausgibt (27,1 ff). Aber damit ist es noch nicht zu Ende, es geht munter weiter und Jakob ergeht es selbst nicht besser: er wird von Laban hintergangen, bekommt in der Hochzeitsnacht nicht dessen jüngere Tochter Rahel, um die er sieben Jahre gedient hat, sondern deren ältere Schwester Lea zur Frau. Fußnote - ihr Männer: Wie lange habt ihr für eure Frauen gedient und geworben? Schließt zahlt es Jakob seinem Schwiegervater Laban heim indem er ihn überlistete, ihm die schwächeren, wenig vitalen Tiere zukommen lässt und so zu Reichtum kommt (30,25ff). Und dann die Geschichte Jakobs mit seinen Söhnen – er liebt den einen mehr als die anderen – problematisch aber normal – oder?

    Also eine Familien-Geschichte voller Intrigen, Umwegen, Umbrüchen, eigentlich wenig rumreiches. Keine glänzende Erfolgsstory die man den Kindern als Beispiel vor Augen stellen würde. Wenn da, ja wenn da nicht noch etwas anderes wäre, was immer wieder aufblitzt:

    2. Es ist eine Geschichte mit Gott

    Trotz aller Ungereimtheiten: es ist eine Geschichte mit Gott. Einen Gott, den Jakob immer wieder sucht (z.B. 32,10ff) und einem Gott der Jakob immer wieder begegnet, mit ihm spricht, ihm Anweisungen gibt, ja sogar mit Jakob kämpft, Jakob IHN nicht loslässt bevor er SEINEN Segen erhält (32,23ff). Jakob bekennt sich zu diesem Gott, dem Gott seiner Väter Isaak und Abraham (32,10). Mit diesem Bekenntnis zum Gott seiner Väter, das sich in der Geschichte des Volkes Israel ständig wiederholt, bis heute, wird deutlich: dieser Gott ist ein Gott der Geschichte, ein Gott der mit den Menschen in der Geschichte und ihren Geschichten unterwegs ist. Auf und in diesem Gott ruht immer wieder das Vertrauen und ihre Hoffnung, auf dem Gott der in allem die Fäden in seiner Hand hält – trotz aller menschlichen Irrungen und Wirrungen, verliert Gott sein großes Ziel nicht aus den Augen.

    Gott braucht nicht die krummen Wege um an sein Ziel zu kommen, im Gegenteil, er könnte das auch ganz anders lösen. Aber Gott ist mit uns unterwegs, weiß um uns und unser Unvermögen, weiß um unsere krummen Wege und er geht diese Wege mit. Und deswegen kann Gott auch aus krummen Wegen etwas machen. Wird nicht erst zu einem Gott der mitgeht, wenn wir auf „vermeintlich“ geraden Wegen unterwegs sind. Sondern wenn wir mit IHM auf unseren Wegen unterwegs sind.

    Für mich auffallend, dass in all diesen Geschichten trotz aller Verfehlungen, Lügen und Intrigen nie von Schuld oder Sünde die Rede ist. Und trotzdem – oder gerade deswegen – kommt es immer wieder zu Gottesbegegnungen, mischt sich Gott ein, beziehen sich die Menschen und ihre Geschichte auf IHN.

    Josef bringt diese Erkenntnis Ausdruck, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gibt und sagt (45,5.7): Und nun seid nicht bekümmert, und werdet nicht zornig auf euch selbst, dass ihr mich hierher verkauft habt! Denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt. (1Mo 50,19; 1Mo 50,20) … Gott hat mich vor euch hergesandt, um euch einen Rest zu setzen auf Erden und euch am Leben zu erhalten für eine große Rettung. In diesen beide beiden Versen steckt letztlich die einzige theologische Begründung der gesamten Josefsgeschichte. In diesen beiden Versen leuchtet auf, was Gottes Idee ist, seit der Berufung Abrahams (12,1ff) ihn zum Ausgangspunkt (Ursprung/Quelle/Haupt/Kopf vgl. BAUMERT zu 1Kor 10 – dieser Gedanke wäre in einer Predigt für die mehr Zeit wäre, eine Fußnote wert!) einer großen Nation zu machen. Diese Idee behält Gott im Blick, deswegen mischt er sich immer wieder wegweisend, zurechtbringend ein. Das hat Josef erkannt als er unerwartet vor seinen Brüdern steht. Es kann nicht anders sein, in all dem was er erlebt hat, erkennt er im Rückblick Gottes Handschrift und Wirken.

    3. Sie wird eine Geschichte mit uns

    N.T. Wright, anglikanischer Bischof und Hochschullehrer, einer der weltweit beachteten und gehörten Theologen der Gegenwart spricht von der großen Story Gottes1 in die wir Menschen einbezogen sind. Diese große Geschichte Gottes beginnt mit der Schöpfung und Erschaffung des Menschen die nach dem Sündenfall, also dem Abbruch der Gottesbeziehung durch den Menschen, erfährt einen Neubeginn durch die Berufung Abrahams, setzt sich fort über Issak, Jakob, Josef, Mose den Königen und Propheten, und weiter über Johannes den Täufer, Jesus bis hin zu uns heute – wir sind Teil dieser großen Story Gottes!2

    Wie eben gesagt hat Josef erkannt, dass seine Geschichte auch eine Geschichte Gottes, eine Geschichte Gottes mit ihm und seiner Familie ist, und dies auch nicht in jedem Vers betont werden muss, um es zu erkennen. Und aus dieser Erkenntnis, die er in den fast unscheinbaren Versen unseres Predigttextes ausdrückt, ergeben sich für ihn Konsequenzen, das prägt sein Verhalten gegenüber seinen Brüdern,. Er sinnt nicht auf Rache und Vergeltung, was man erwarten könnte und was seine Brüder auch erwarteten, insbesondere nach dem Tod des Vaters.

    So ist diese große Erzählung nicht nur einfach eine Geschichte, Belletristik, Unterhaltung. Sie ist eingebettet in Gottes große Geschichte und Teil davon. In ihr offenbart sich Gott und der Mensch, auch wir, sie und ich erfahren und erkennen sich in ihr als Gegenüber Gottes – und das hat Auswirkungen, wie wir bei Josef gesehen haben. Das verändert die Sicht auf unser Leben und verändert unsere Identität, weil wir unser Leben in der Gegenwart Gottes sehen und verstehen.

    Schluss

    Was bleibt aus dieser großen und bedeutenden Geschichte? Was bleibt von Gottes Wirken in dieser Geschichte die fast das halbe erste Buch Mose umfasst für uns, für sie und mich?

    Das letzte Kapitel dieser Geschichte Gottes, die Geschichte der Kirche, ist noch nicht zu Ende geschrieben, es entsteht quasi vor unseren Augen mit uns. Vielleicht gelingt es, dass wir diese biblischen Erzählungen nicht nur als alte Geschichten betrachten, sondern darin Gottes große Story erkennen. Und dass diese Story heute weiter geschrieben wird und wir, sie und ich mit unserem persönlichen Leben eingebettet sind in diese Geschichte Gottes, ER Teil unseres Lebens ist. Und wer weiß: vielleicht eröffnet sich dadurch ein ganz anderer Blick auf unsere persönliche Geschichte, auf unsere Identität und unser Handeln, ähnlich wie wir es bei Josef gesehen haben.

    Amen.

    Diese Predigt wurde verfasst von:
    Karl-Heinz Rudishauser
    Obertüllingen 107
    79539 Lörrach-Tüllingen
    07621/9153229
    eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de

    1 Karte und Gebiet – Ethikpodcast von Torsten Dietz und Tobias Faix, Folge 5 https://karte-und-gebiet.de/folge-5-ethik-und-die-grosse-story-gottes/
    2 Dieser Gedanke wird im Grunde auch von BAUMERT Norbert, Prof. Dr.; in: Sorgen des Seelsorgers; Echter Verlag, Würzburg; 2007; S. 144 geteilt bzw. aufgegriffen.

    nach oben Home Predigten eMail Predigt als PDF zum herunterladen