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Predigt über 1Mos 32,23 - 32

am 16.4.2023
Quasimodogeniti - 1. Sonntag nach dem Osterfest

Ort:
Seefelden


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

In den Namen der Sonntage nach Ostern klingt Ostern noch nach – quasi modo geniti – wie die neugeborenen Kinder, misericordias domini – die Barmherzigkeit des Herrn und heute: Jubilate – Jauchzet Gott alle Lande Warum können wir jauchzen? Gründe dafür gibt es viele – einer ist, dass wir einen Gott haben, der uns nahe kommt, ganz nahe und uns auch nahe ist. Dieses nahe kommen vollzieht sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise - manchmal eindeutig und erwartbar, manchmal aber auch unerwartet und anders als wir uns das gemeinhin vorstellen. Manchmal wird uns das in der Bibel in eindeutigen, klaren Erzählungen berichtet, manchmal auch in eher merkwürdigen, uns fremden Berichten. Apropos merkwürdige Geschichten: Die Bibel ist voller Geschichten, Erzählungen und Berichte – Geschichten die mich faszinieren und begeistern – Erzählungen die mich hinterfragen und herausfordern - Berichte die rätselhaft, fremdartig sind und bei mir Fragen aufwerfen und mich zunächst einmal ratlos zurück lassen.

Einem solch rätselhaften, eigentümlichen aber zugleich auch irgendwie faszinierenden Bericht begegnen wir in dem Bibelabschnitt, welcher meiner heutigen Predigt zugrunde liegt.

Ich lese:

- Text lesen: 1Mos 32, 23 – 32 -

Eine wirklich seltsame Geschichte, fremdartig und geheimnisvoll. Eine Geschichte die bei mir zunächst mehr Fragen hinterlässt als dass sie mir Antworten anbietet. Aber auch eine Geschichte die eingebettet ist in eine Familiengeschichte die einige Kapitel (1Mo 25,19) zuvor ihren Anfang nimmt und sich bis zum Ende dieses ersten Mosebuches ebenso turbulent wie faszinierend hinzieht.

Was ist bisher geschehen? Jakob befindet sich auf dem Weg zu einer heiklen Mission. Er ist auf dem zu seinem Zwillingsbruder Esau um sich mit ihm zu versöhnen. Zwanzig Jahre liegen zwischen der letzten Begegnung der Zwillingsbrüder. Jahre in denen Jakob immer wieder auf der Flucht war. So stoßen wir mitten hinein in eine Familiengeschichte. Familiengeschichten haben ja ihren besonderen Reiz, weil sie immer auch Abbild oder auch Wunschbild der eigenen Familiengeschichte sind, bis in unsere Tage. Es sind Geschichten voller Freude und Leid, von gelingen und scheitern, Verzweiflung und Hoffnung, Geschichten, welche das Leben schreibt und uns herausfordern, unsere eigenen Geschichten zu leben, zu reflektieren, immer wieder zu schauen wo stehe ich, auch in meiner Beziehung zu Gott, und so auch meine eigene Geschichte zu schreiben. Diese Familiengeschichte ist durchzogen von Lug und Trug aber sie ist auch immer eine Geschichte mit Gott und wird so zur Heilsgeschichte1. Jakob der seinen Bruder hintergangen und den Vater „als Mamas Liebling“ betrogen und dem Erstgeborenen den väterlichen Segen und damit das väterliche Erbe abgeluchst hat. Der später von seinem Onkel Laban zu dem er, aus Furcht vor dem Bruder geflüchtet war, bei der Brautwahl ausgetrickst wird2 und es diesem später heimzahlt, als er sich die besten Tiere aus Labans Herde durch eine List zu eigen macht.

All die Jahre hat ihn sein Verhältnis zu seinem Bruder und die Hoffnung umgetrieben, dass sie sich wieder versöhnen. Und so macht er sich auf den Weg zurück in das Land seiner Väter und zu seinem Bruder.

Auf dem Weg dorthin ereignet sich diese merkwürdige nächtliche Begegnung. Drei Anmerkungen dazu:

1. Jakob kämpft den Kampf seines Lebens

Immer wieder haben Jakob auf seinem Weg zurück in das Land seiner Väter und der Begegnung Zweifel gepackt. Und das, obwohl er von Engeln Gottes den Auftrag bekommen hatte, sich auf diesen Weg zu begeben (1Mo 31,13). Jetzt trennt ihn nur noch eine Nacht von dieser Begegnung. Dann wird er wissen, wie er von Esau empfangen wird, mit offenen Armen oder mit dem Schwert. Er hat sich alles so schön zu Recht gelegt: seine Familie, Frauen und Kinder hat er vorausgeschickt, mit all seiner Habe die er als Geschenke für seinen Bruder gedacht hatte. Alles perfekt ausgeklügelt.

Nun bleibt er alleine in der Schlucht des Jabbok zurück und starrt in die dunkle Nacht. Er kauert sich zusammen und wartet auf den Morgen. Er denkt nach und lässt sein Leben in Gedanken Revue passieren. Und plötzlich, wie aus dem Nichts taucht ein anderer Mann auf und fällt über ihn her. Die beiden Männer ringen miteinander bis zum Morgengrauen, immer in der Hoffnung, diesen Kampf für sich entscheiden zu können.

Wer war dieser andere Mann? Letztlich wissen wir es an dieser Stelle nicht und seine Identität bleibt im verborgenen. Vielleicht denkt Jakob, er kämpft mit Esau der ihm aufgelauert und sich in der Nacht an ihn herangeschlichen hat oder ist es ein Engel Gottes. Aus zwei Hinweisen können wir erahnen, dass es sich bei diesem Fremden um Gott gehandelt haben könnte (V. 29, 31).

2. Jakob ringt also mit Gott

Bleiben wir bei Vorstellung, die auch in vielen Bibelübersetzungen und -übertragungen durch die Überschrift über diesen Bericht zum Ausdruck gebracht wird, dass Jakob mit Gott gerungen, gekämpft hat. Das passt für mich auch in das Bild eines Gottes der uns Menschen, der mir nahe, ganz nahe kommt, sich sogar berühren lässt. Wir erinnern uns an die blutflüssige Frau (Mt 9,20), wie Jesus das Kind herzt (Mk 9,36), sich die Füße (Lk 7,36) und das Haupt salben (Mk 14,3), und wie in der Schriftlesung gehört ließ er den Jünger, der seine Finger in seine Wunden legen darf (Joh 20,25) .

Jakob kämpft mit diesem Mann den Kampf seines Lebens – seinen Lebenskampf. Jakob hat sich diesen Kampf, diesen Überlebenskampf nicht ausgesucht, er wurde ihm aufgezwungen, wurde förmlich in ihn hineingezogen. Mir kommt es vor, als klammere sich Jakob an ihn, hält sich in seinem Lebenskampf an ihm, an diesem, an seinem Gott fest. Aber auch Gott lässt ihn nicht einfach los sondern hält Jakob in diesem Klammern auch fest – könnte man darin die Treue Gottes ausmachen? Selbst als er von diesem verletzt wird gibt er nicht auf sondern erbittet – ja verlangt nach dessen Segen. Es ist ein schmerzhaftes Ringen mit und um Gott (vgl. Menschen mit Mission; S. 378).3

Damit tun wir uns schwer, wenn sich Gott nicht als der Gott der Raiffeisen und Volksbanken erweist und uns den Weg frei macht. Wenn er eben solche herausfordernden Lebenssituationen zulässt, nicht alles Übel von mir fernhält oder sich uns sogar in den Weg stellt. Wir tun uns vielleicht auch deswegen schwer, weil wir ein verzerrtes um nicht zu sagen falsches Gottesbild haben, weil es zu sehr von unsren Vorstellungen und Wünschen bestimmt ist.

Jakob macht am Ende die Erfahrung der göttlichen Güte. Aber Erfahrung göttlicher Güte macht nicht alles wieder gut, aber sie macht wieder lebens- und beziehungsfähig ohne den Bruch zu verbergen.4 Das erinnert an Narben die nach einer Operation zurück bleiben und an das Geschehene erinnern oder an die japanische Kunst des Kintsugi bei dem zerbrochene Keramik nicht wieder so repariert wird, dass möglichst nichts von dem Bruchstellen zu sehen ist, sondern genau das Gegenteil. Hier werden die Bruchstellen mit Gold ausgegossen und die Bruchteile so wieder miteinander verbunden. Es soll sichtbar bleiben, was einmal kaputtging nun aber wieder gebrauchs-, lebensfähig ist.

In den Versen unseres Predigtabschnittes nehmen wir Teil an einem Ringen und einem Klammern an dessen Ende der Segen Gottes steht. So ist der von Gott Gezeichnete ein von Gott Gesegneter.

3. Ringen wir mit Gott

Hier ergeben sich für mich Ähnlichkeiten zu meinem Leben und Lebensvollzügen. Wie auch immer – Jakob hat mit Gott gerungen und wie auch immer, ringe ich immer wieder mit Gott. Dann wenn ich auf meinen krummen Wegen unterwegs bin, dann wenn ich Lebenssituationen oder gar mein Leben nicht mehr verstehe, alles wegzubrechen oder sich aufzulösen droht, dann nicht loszulassen sondern dran zu bleiben an Gott, mich in IHN zu verhaken, um seinen Segen zu ringen.

In diesem verhakt werden und verhakt sein in und mit Gott begegne ich IHM, nicht nur oberflächlich sondern von Angesicht zu Angesicht, sogar körperlich. Hier, im Leid, in der Klage komme ich Gott ganz nah. Das haben auch bekannte Vertreter moderner Anbetungs- und Lobpreislieder wie Arne Kopfermann oder Albert Frey erkannt. So schreibt Albert Frey „von einer Krise der Anbetung“.5 oder noch pointierte Arne Kopfermann der sagt, wir haben für die abgründigen Erfahrungen der Trauer und der Verzweiflung zu wenig geprägte Worte und Formen.6

Im weiteren Nachdenken entdecke ich Parallelen zu meinem Leben, Situationen bei mir persönlich oder auch in meinem Umfeld die plötzlich hereinbrechen. Die unerwartete Diagnose beim Arzt, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Zerrbruch der Ehe, die Kinder ganz andere Wege gehen als die Eltern sich das wünschen oder der Tod eines geliebten Menschen, mir Gott immer fremder wird und Zweifel plagen. Unvorbereitet stehe auch ich in Lebenssituationen die mir wie ein Überlebenskampf7 vorkommen und ich muss ringen und kämpfen um am Leben zu bleiben, um nicht unterzugehen klammere, verhake ich mich an, mit und in Gott.

In solchen Schlucht- und Nachtsituationen unseres Lebens können wir uns das zu eigen und für uns, für mich erfahrbar machen, was Paulus so formuliert hat: „…weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Rö 8,39) Dann wird dieser Vers weit mehr als nur ein Spruch auf einer frommen Postkarte. Jakob muss an so etwas geglaubt, darauf vertraut haben. Das heißt aber nicht, und ich erinnere nochmals an Kintsugi, dass alles wieder gut wird, aber dass die Beziehung zu Gott wieder lebensfähig macht auch wenn ich als Gezeichneter daraus hervorgehe.

Schluss

Gerungen – gezeichnet – gesegnet so könnte man diese Erzählung auf den Punkt bringen.8 Jakob hat immer wieder mit Gott gerungen. Und dieser Gott ist kein anderer als der Vater Jesu Christi, der mit seinem Vater gerungen hat im Garten Gethsemane (Mt 26,36) und am Kreuz auf Golgatha („Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen MT 27,46). Jesus der alles – absolut alles – selbst durchlitten (Hebr 4,15) und durchkämpft hat und in DEM Gott gerade in diesen Situationen selbst war (2Kor 5, 19)9

Wo werden wir angeleitet, wie wir, wie ich mit Gott ringen kann?10 Wo können wir die Halte- und Klammergriffe für dieses Ringen lernen? Ich wünsche uns, ihnen und mir Menschen die mich ermutigen und lehren, mit Gott zu Ringen. Gemeinden, in denen miteinander11 vor und mit Gott gerungen wird. Und ich wünsche mir Gemeinden in denen Klagen nicht als Glaubensschwäche sondern als tiefes Beziehungsgeschehen mit Gott verstanden und dafür Ausdrucksformen gefunden werden.

Ringen wir mit Gott damit Gott Gott ist und wir erkennen wie ER ist. Kommen wir IHM dabei ganz nah weil ER sich nicht scheut, uns ganz nah zu kommen.12

Amen. - Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Obertüllingen 107
79539 Lörrach-Tüllingen
07621/9153229
eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de

1 Besondere Bibelstellen: 1Mo 28,13.18; 31,13 u.a.
2 1Mos 29,14ff
3 DIETZ, Thorsten: Menschen mit Mission, SCM R. Brockhaus, Holzgerlingen; 2022; S. 378
4 A.a.O. S. 379
5 So zitiert in: DIETZ, Thorsten: Menschen mit Mission, SCM R. Brockhaus, Holzgerlingen; 2022; S. 378
6 #99 Wenn dein Kind stirbt (m. Arne Kopfermann) – Hossa Talk (hossa-talk.de) – zuletzt aufgerufen am 13.4.2023
7 Kruse, Anne-Kathrin gekämpft – gezeichnet – gesegnet | Predigt zu 1. Mose 32,23-32 von Anne-Kathrin Kruse | predigten.evangelisch.de – zuletzt aufgerufen am 13.4.2023
8 Kruse, Anne-Kathrin a.a.O.
9 siehe hier ZIMMER, Siegfried Prof. Dr. in worthaus; 13.1.1 ab Minute 33
10 Dietz a.a.O. S. 378
11 miteinander im Sinne von gemeinsam aber auch mit-einander
12 Kruse, Anne-Kathrin a.a.O.

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