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Predigten

Predigt über Jesaja 49, 1-6

am 15.10.2000
17. Sonntag nach Trinitatis

Ort: Staufen / Münstertal


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder

Einleitung

Haben sie schon einmal in einer sternenklaren Nacht den Himmel betrachtet - sicherlich. Es ist ja schon erstaunlich, was da alles zu sehen ist: unzählige Sterne die eine Vielzahl von Sternbildern ergeben. Und noch erstaunlicher finde ich, daß man über Jahrhunderte an diesen Sternbilder Positionsbestimmungen vorgenommen hat. Viele dieser Sterne sind Millionen von Lichtjahren von uns entfernt, brauchen diese Zeit, bis wir sie hier als leuchtende Punkte am Himmel erkennen. Und manche sind, wenn wir sie hier sehen, bereits wieder erloschen.

Aber was haben diese Sterne mit uns und dieser Predigt zu tun? Viele der biblischen Texte die wir heute in Händen halten haben ebenfalls eine lange "Zeitreise" hinter sich. Sie wurden von Menschen geschrieben, die schon lange nicht mehr leben und uns dabei helfen könnten, diese Texte zu verstehen. Und dennoch bergen diese biblischen Texte eine Kraft in sich die immer wieder dazu beiträgt, daß sie Licht in das Dunkel unserer Tage bringen, daß sich Menschen daran aufrichten können weil sie erkennen, hier handelt es sich nicht nur um Menschenwort, sondern um Gottes Wort. Und plötzlich gewinnen diese Texte aus alten Tagen eine ganz neue, aktuelle Dimension weil wir persönlich angesprochen sind.

- Text lesen: Jesaja 49, 1-6 -

Diese sechs Verse aus dem Propheten Jesaja haben eine Zeitreise von mehr als 2500 Jahren hinter sich. Wir wissen heute nicht mehr, von wem in diesen Versen die Rede ist, wer mit diesem Knecht gemeint ist.. Die einen sagen, diese Worte passen gut zu dem persischen König Kyros, andere betonen, daß hier ein Prophet zu Wort kommt, der von seiner Berufung erzählt. Und als Christen gehen wir davon aus, daß es sich bei diesen Versen um eine prophetisches Wort über das Werk unseres Herrn Jesus Christus handelt.

All diese Überlegungen und Annahmen haben etwas für sich und es gibt gute Gründe für die eine oder andere Variante. Aber heute in dieser Predigt soll es nicht darum gehen, irgendwelchen Argumenten und Gründen für die eine oder andere Annahme nachzuspüren, sondern daß aus diesen Worten ein erhellendes Wort für uns und unser Leben wird. Und dazu wird es erst, wenn wir, wenn ich persönlich davon angesprochen und betroffen bin. Dann wenn ich einen Klang vernehme der mein Inneres, mein Herz anspricht.

Mitten drin in diesen Versen, eher schon versteckt, begegnet uns solch ein erhellender Vers. Einer den vielleicht viele unter uns genau so sagen würden, den ich so sagen kann: Mein Gott ist meine Stärke (geworden). Es wäre jetzt sicherlich spannend, darüber ins Gespräch zu kommen, uns darüber auszutauschen, ob dieser Satz auch in ihrem Leben seinen Platz hat, wenn ja wie und wenn nein, warum nicht. Die einen mögen ihn unterstreichen, hervorheben wo und in welchen Lebenslagen sie das auch so erfahren haben. Aber da wird es gewiß auch die anderen geben, die diesen Vers nicht bejahen können, eher das Gegenteil. Die in ihrem Leben diese Erfahrung (noch) nicht gemacht haben, die sich da nicht so gewiß sind, denen eher alles unter den Füßen zu entgleiten droht.

Bei aller Vorsicht und Bescheidenheit die wir haben sollten, wenn wir versuchen diese alten Texte auf uns und unsere Situation heute zu übertragen scheinen mir aber ein Thema aus diesen Versen gegeben zu sein: Unser Glaube im Spannungsfeld zwischen Gewißheit und Zweifel. Man könnte fast schon sagen, daß dies die zwei Seiten einer Medaille sind.

Diese zwei Seiten würde ich gerne heute morgen mit ihnen betrachten.

1. Seite

Hier kommt einer zu Wort, nennen wir ihn einfach mal den "Knecht Gottes", der davon zu berichten weiß, daß er eine Berufung und einen Auftrag von Gott hat. Er wendet sich dabei an die "fernen Inseln", damit sind die Menschen gemeint, die nicht zum Volk Israel gehört haben, und bekundet ihnen, daß er von Mutterleib an von Gott berufen ist, Gott ihn gemacht hat. Diese Vorstellung mag uns möglicherweise etwas befremdlich erscheinen die wir schnell ins Lager der entschiedenen Abtreibungsgegner verbannen, den Menschen der Bibel war sie aber durchaus vertraut wie uns etliche Stellen im Alten wie im Neuen Testament bezeugen (siehe Predigt vom 20.08.2000 über Jer , 4-10).

"Unser Knecht" weiß sich in seinem Auftrag als Bote dessen, der ihn berufen und gesandt hat. Er ist ausgerüstet mit dem was er zu seinem Dienst braucht. Eigentlich kann nichts mehr schief gehen. Und so macht er sich voller Begeisterung daran, diesen fernen Inseln seine Botschaft, besser die ihm anvertraute Botschaft zu verkündigen. Aber er verkündigt nicht nur, sondern er beginnt auch seiner Berufung entsprechend zu leben und seinen Auftrag auszuführen.

Möglicherweise kommt uns diese Begeisterung und dieser Elan bekannt vor. Da können auch wir möglicherweise auf ein Ereignis in unserem zurückblicken, uns daran erinnern, daß Gott auch zu uns gesprochen hat. Auch wir erkannt und verstanden haben, daß wir von Gott geliebt sind und er uns berufen hat zu einem Leben in seiner Gemeinschaft.

Wir erinnern uns an positive Erfahrungen die wir gemacht haben, vielleicht wärend der Konfirmandenzeit oder auf Freizeiten. Erfahrungen, die es uns leicht gemacht haben, einen Zugang zu Kirche und damit auch zu einem persönlichen Glauben zu finden. Und ich denke mir, daß die meisten unter uns, die heute morgen hier zusammen sind, überwiegend von solchen Erfahrungen geprägt sind, sonst wären sie nicht hier.

Aber dann ändert sich plötzlich die Tonlage in unseren Versen - die zweite Seite der Medaille:

2. Seite

"Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verbraucht." Welch große Enttäuschung und Niedergeschlagenheit klingt aus diesem Satz. Da ist nichts mehr zu spüren vom Elan und der Begeisterung des Anfangs. Zu den anfänglichen positiven Erfahrungen gesellen sich im Laufe der Zeit andere, eher negative Erfahrungen, die dazu führen, daß sich Frust breit macht und Zweifel aufkommen. Zweifel an der eigenen Berufung und Zweifel am Auftrag und "unser Knecht" steht kurz davor, alles hinzuwerfen.

Obwohl von Gott berufen, mit einem klaren Auftrag und entsprechenden Gaben ausgerüstet hat er keinen Erfolg. Keiner reagiert auf seine Botschaft, keiner bekehrt sich, keiner kehrt um. Und so kommt was kommen muß: er will alles hinschmeißen. Was soll das ganze denn wenn doch der Erfolg ausbleibt? Und die Frage nach dem Erfolg betrifft nicht nur Mitarbeiter sondern jeden von uns, wenn wir "Erfolg" auch so verstehen, wie es uns in unserem Christ sein geht.

Kommt ihnen auch das möglicherweise bekannt vor? Sind auch wir nicht stark davon geprägt, daß wir Erfolg haben, nicht nur im beruflichen Alltag sondern auch in unserer Mitarbeit im Reich Gottes? Da packt uns doch auch der Frust, wenn es im Hauskreis nicht weitergehen will, alles stagniert und auch keine neuen Leute dazukommen. Da kann man sich dabei ertappen, daß man am liebsten alles schmeißen will, weil der "Erfolg" ausbleibt. Wenn ich hier von Mitarbeitern rede, dann spreche ich jeden von uns an. Denn jeder Christ ist letztlich Mitarbeiter im Reich Gottes, auch dann, wenn er kein Mitarbeiter irgendeiner Gemeinde ist.

Vieles kann zu einem solchen Gesinnungswandel beitragen: ein Schicksalsschlag, der in uns die Frage aufwirft, ob es Gott überhaupt gibt und wenn ja, warum er so etwas zuläßt? Oder wir stören uns an "Gottes Bodenpersonal", weil uns deren Art nicht gefällt oder sie nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Oder wir resignieren an unserer eigenen Mitarbeit innerhalb von Kirche und Reich Gottes.

Wenn wir heute in diesem Gottesdienst die Konfirmanden des neuen Jahrganges vorstellen, dann beschleicht vielleicht den einen oder die andere den Frust, weil die Frage auftaucht, was aus all den vielen jungen Menschen geworden ist, die wir Jahr für Jahr konfirmieren. Wir säen, aber wo ist die Ernte?

Eines sollte oder muß uns klar werden: vergebliche Arbeit ist nicht gleichbedeutend mit unwerter Arbeit! Ich denke, daß unsere Arbeit eine Arbeit auf Hoffnung ist, in der der eine sät und ein anderer erntet (vgl. 1. Kor 3,6). Wenn wir keinen Erfolg sehen, so bedeutet dies noch lange nicht, daß wir erfolglos sind, daß unsere Arbeit wertlos und fruchtlos bleiben wird.

An dieser Stelle könnten wir nun abbrechen, die zwei Seiten der Medaille sind betrachtet, ändern können wir sowieso nichts. Aber dann habe ich eine Entdeckung gemacht:

3. Seite

Beim betrachten einer Münze ist mir aufgefallen, daß das mit den zwei Seiten eingentlich gar nicht so richtig stimmt. Da gibt es noch eine dritte Seite - den Rand und auf dem steht auch etwas (zumindest auf der 2-Mark Münze). "Einigkeit - Recht- Freiheit" ist da zu lesen. Da bin ich ins nachdenken gekommen. Und irgendwie habe ich auch bei unserem Knecht den Eindruck, daß er plötzlich ins nachdenken gekommen ist. Irgendetwas läßt ihn inne halten während er seinen Frust rausläßt. "Doch mein Recht ist bei dem Herrn ... mein Gott ist meine Stärke." Mitten in diesen "Frust-Versen" kommt er zu dieser Aussage, erinnert er sich und werden wir daran erinnert, worauf es ankommt, wovon unser "Erfolg" im Reich Gottes abhängt: von Gott und seinem Handeln, davon daß wir Gott suchen, so wie wir es im Eingangspsalm gebetet haben.

An der Situation des Knechtes hat sich durch diese Erkenntnis nichts verändert bzw. am Erfolg seiner Arbeit. Aber an seiner Einstellung zu seiner Arbeit zu seinem Auftrag. Es ist das Festhalten an einer Zusage die von Gott wieder erneuert wird. Ein sich vorhalten dessen, was diesem Knecht zugesagt ist. Und indem er seine Blickrichtung ändert sind auch wir herausgefordert die Blickrichtung zu ändern.

Es geht darum, daß wir unseren Auftrag wieder ins Auge fassen und den, der uns diesen Auftrag gegeben hat. Daß wir uns wieder an den halten, der mit uns und dieser Welt an sein Ziel kommen will und UNS dazu gebrauchen will, so wie wir sind, mit all unserem Glauben und mit all unseren Zweifeln.

Schluß

Ich denke es wird uns immer wieder so gehen wie diesem Knecht aus dem Jesaja-Buch. Wir werden hin- und hergeworfen zwischen Glaube und Zweifel, zwischen Begeisterung und Frustration, zwischen "Erfolg und Mißerfolg". In diesem Spannungsfeld werden wir uns zeitlebens bewegen, gerade auch als Christen. Und in all dem wird es darauf ankommen, daß wir den Blick immer wieder auf den richten, der uns berufen und mit einem Auftrag versehen hat.

Und wenn sie einmal wieder in einer klaren Winternacht den Sternenhimmel betrachten, dann denken sie an jenen Knecht aus dem Prophetenbuch Jesaja und an die Entdeckung der dritten Seite der Medaille, die trotz einer langen Zeitreise unser Leben erhellen will mit ihrer Botschaft: Mein Gott ist meine Stärke!

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Belchenring 20
D-79219 Staufen
07633/500781
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de

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