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1Joh 2, 12 - 14

am 5.11.2023
Drittletzter Sonntag i.Kj.

Ort:
Seefelden


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

In der Vorbereitung zu dieser Predigt bin ich mir bewusst geworden, wie stark ich in meinem geistlichen und theologischen Denken von einem biblischen Autor geprägt bin: von Paulus. Und ich würde die Vermutung wagen, das dies typisch für uns ist, obwohl es ja durchaus auch noch andere Autoren gibt. Und diese Autoren unterscheiden sich in dem was sie schreiben durchaus in Form und Inhalt.

Und so begegne ich im heutigen Predigttext einem Autor den ich zu jenen zähle, die mich deutlich weniger geprägt haben als Paulus:

- Text lesen: 1. Johannes 2, 12 – 14 -

Der gesamte Brief beginnt irgendwie eigentümlich und ich erinnere mich noch daran, wie mich das in den Anfängen meiner Bibellese durchaus irritiert hat. Im ersten Kapitel platzten quasi die Aussagen über Gottes zukünftigen Tag, das Leben in dem neuen Zeitalter in meine und auch unsere Welt hinein.1 Irgendwie eine ganz andere Tonart als ich es von Paulus gewohnt bin. Gott kommt uns entgegen und will uns in der Person von Jesus begegnen.

Diese wenigen Verse des Predigttextes, ein zunächst unscheinbarer Text gestaltet sich für mich im weiteren Verlauf irgendwie sperrig. Warum, was stört mich, was kommt mir quer? Ich lese ihn immer wieder – leise, laut – aber ich merke, dieser scheinbar so geschmeidigen, unscheinbaren Verse bleiben sperrig und fordern mich zunehmend heraus, ziehen mich gleichsam auch an.

Ich suche Orientierung in anderen Bibelübersetzungen, in Kommentaren und bei Exegeten. Sie nehmen mich hinein in diesen Bibelabschnitt und ich lasse mich ein auf die Denkweise und Nachfolge-Vollzüge des Schreibers unserer heutigen Predigtverse und ich versuche sie in einem ersten Teil mit hineinzunehmen in meine Begegnungen mit diesen Versen.

1. Meine Begegnungen

Johannes spricht die Kinder an und offenbart ihnen: eure Sünden sind vergeben. Was für eine Aussage: Kinder, euch sind die Sünden vergeben. Das ist der Ausgangspunkt und ich merke, wie ich mich schon an dieser Stelle, an dieser Aussage reibe. Warum schreibt Johannes hier von Sünden die vergeben sind? Warum „die Sünden“ und nicht die „Sünde“. Denn ist nicht zu unterscheiden zwischen Sünde und Schuld – warum? Sünde ist für mich das übergeordnete, das „ursprüngliche“ oder grundlegende. In der Sünde gründet sich unsere Hybris ohne Gott unterwegs sein zu können, so sein zu wollen wie Gott und den sich daraus ergebenden Folgen der Schuld. Sünde ist das, von dem die Schuld ihren Ursprung nimmt, aus dem Bruch mit Gott, der Sünde, folgen alle anderen Brüche: Einbruch, Beinbruch, Ehebruch usw. Deswegen verwundert mich diese Formulierung des Johannes an dieser Stelle. Er nutzt tatsächlich den altgriechischen Begriff hamartia, Zielverfehlung.

Aber im Neuen Testament findet eine Schärfung, eine Zuspitzung des Wortes Hamartia gegenüber der altgriechischen Bedeutung statt und wird zu einem grundlegenden, einem existenziellen Ereignis (vgl. Rö 5,12). Ich mache mich schlau und entdecke, die Verwendung ist nicht einheitlich – der eine Schreiber so und ein anderer wieder anders.

Wie gesagt, ich bin etwas verwirrt, kann diese Verwirrung aber letztlich nicht auflösen. Kann es sein, dass es Johannes nicht um diese Unterscheidung geht sondern um etwas anderes, dass uns vergeben ist? Ist das nicht das Markenzeichen von uns Christen? Ist das nicht Teil unserer zentralen Botschaft an die Welt? Diese grundsätzliche Trennung von Gott ist überwunden und wir können wieder in der Gemeinschaft mit Gott leben. Dann wenn wir anerkennen und es in Anspruch nehmen, in die Gemeinschaft mit Gott, in sein Volk eingebunden zu sein durch das was Jesus von Nazareth für uns getan hat – in Leben, Leiden, in Tod und in Auferstehung.

Nun wendet sich Johannes den Vätern zu, kurz und knapp, so wie es Männer gern haben. Doch wen meint er mit Väter? Die leiblichen oder die geistlichen Väter seiner Briefadressaten? Ich entscheide mich für die geistlichen Väter, und Johannes konstatiert, hält fest und schreibt ihnen ins Stammbuch: sie haben den erkannt, der von Anfang an war. Und dieses erkennen meint weit mehr als bloßes wahrnehmen mit unseren Sinnen sondern bedeutet eintreten in ein inniges, fast schon intimes Beziehungsgeschehen.

Das ist doch Sprache und Ausdruck wie wir sie von Johannes kennen: Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ (Joh 1,1). Das ist johanneische Theologie wie wir sie kennen – und lieben!? In diesem Gott-Wort hat alles seinen Ursprung und findet alles zusammen. Johannes geht nicht näher darauf ein, erläutert nicht weiter sondern setzt voraus, dass die Briefempfänger verstehen, wen und was er meint.

Zum Abschluss spricht Johannes die jungen Männer an und ich frage mich: Warum das denn? Hat er diese denn nicht beim ersten Mal bereits angesprochen und in den Blick genommen? Wie dem auch sei, Johannes spricht die jungen Männer an, ruft sie zurück auf etwas, was sie wissen oder zumindest wissen sollten mit einem für unsere Tage etwas unangenehmen Thema. Es geht um „den Bösen“, nicht um das Böse. Ein schwieriges Thema, denn ist nicht der Böse seit der Aufklärung gestorben? Das Böse mag es geben, das können wir kaum verleugnen oder abtun, möglicherweise bezeichnen wir es anders, aber dass es Umstände in der Welt und in unserem Leben gibt die wir negativ benennen würden, ist wohl unstrittig. Auch ich tue mich hin und wieder schwer, wenn von dem Bösen gesprochen wird. Nicht weil ich denke, es gibt ihn nicht, den Teufel, den Satan, den Diabolos, den Durcheinanderwirbler sondern weil ich mich sträube, dass mit ihm Angst gemacht wurde und wird und wir ihn hie und da als Sündenbock vorschieben.

Aber dieser Böse ist in seinem Machtanspruch auf uns Menschen überwunden. Die Anklageschrift, die er gegen uns vorbringen kann hat ihre Wirkung verloren, weil Jesus für uns den Freispruch erwirkt hat. Der Schuldbrief der gegen uns stand ist zerrissen (Kol 2, 14) und wurde von Jesus ans Kreuz genagelt. Also nicht wir, nicht ich habe den Bösen überwunden, etwa durch meine Bekehrung oder durch meine Taufe, sondern in der Taufe bin ich hineingenommen in das Erlösungsgeschehen, durch das Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu (vgl. Rö 6,3f). Darum ist Taufe immer auch ein passives Geschehen – nicht ich taufe mich selbst sondern ich werde hinein-getauft in die Gemeinschaft der Gläubigen.

Und abschließend wiederholt Johannes nochmals das bisher geschriebene. Irgendwie entsteht der Eindruck, dass sich Johannes im Kreis dreht, er nicht raus kommt aus dieser Spirale oder auch nicht hinauskommen möchte. Er spricht zwar unterschiedliche Personengruppen an sagt ihnen aber mehr oder weniger das gleiche.

Mit Blick auf diese Verse kommt N.T. Wright zu dem Ergebnis, dass wir diese Verse, den er als Singsang bezeichnet, nicht streng begrifflich analysieren sollten sondern ihn als das sehen und uns ihm so nähern sollten, was er ist: eine Meditation.2 Wir sollen dabei bleiben was Gott getan hat, es uns immer und immer wieder ins Gedächtnis rufen und es wiederholen. Fast so, als dass es uns in Fleisch und Blut übergehen soll. Denn vielleicht geht es Johannes, ganz anders als Paulus, der Schriftgelehrter, der Theologe war, nicht um eine ausgefeilte johanneische Theologie. Johannes war vielmehr ein Mystiker, einer, der insbesondere aus der Beziehung mit Gott und Jesus seine Nachfolge lebte und uns auf seine Weise einlädt, in diese Beziehung einzutauchen und daraus unsere Nachfolge zu gestalten und zu leben. Immer wieder aufs Neue, wie in einem ewigen Kreislauf.

2. Wer fehlt – die nicht Genannten.

Diese Herausforderung steht für mich noch im Raum: Wo bleiben die Mütter, die jungen Frauen, die Mädchen? Sie kommen in diesem Abschnitt überhaupt nicht vor – haben sie keinen Anteil an der Vergebung, an Erkenntnis oder der Überwindung des Bösen? In vielen biblischen Texten werden die Frauen nicht benannt, kommen in den Berichten nicht vor und sind doch auf der anderen Seite so bedeutsam. Es sind die Frauen die bis zum Schluss am Kreuz bleiben und die sich aufmachen zum Grab. Es sind die Frauen welche die Botschaft von der Auferstehung Jesu am leeren Grab vom Engel als erste hören und sie den Jünger bringen. In nahezu jeder Gemeindegründung in der Apostelgeschichte spielen Frauen eine Rolle.

Gewiss, die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse waren so, dass Frauen und Kinder außen vor bleiben, es war eben durch und durch eine patriarchale Gesellschaft und das kam und kommt auch in den biblischen Berichten zum Ausdruck. Wir haben einen geschichtlichen Gott, ein Gott der mit uns in der Geschichte mitgeht und Geschichte nicht einfach übergeht. Und die Frauen kommen auch nicht dadurch in den Blick, wenn ich in einem Kommentar lese, dass in dem griechischen Begriff Väter auch immer die Mütter mitschwingen. Das mag wohl sein, erschließt sich aber für uns heute in unseren deutschen Übersetzungen nicht zwangsläufig.

Wir sollten die geschichtlichen Gegebenheiten nicht einfach übergehen und aus Brüdern einfach Schwestern machen, sondern die damaligen Gegebenheiten aufzeigen und die Botschaft in unsere Zeit hineinsprechen so wie das mit größter wahrscheinlich auch ein Johannes oder Paulus heute machen würden und wie es an manchen Stellen durchaus auch schon aufblitzt (vgl. Rö 8, 14 – 17; Gal 4).

Darum ihr Frauen und Mädchen: was Johannes hier den Vätern und den jungen Männern ins Gedächtnis oder vielleicht vielmehr ins Herz schreibt das schreibt er auch in eure Herzen, denn seine Botschaft gilt auch euch.

Schluss

N.T. Wright3 schreibt: Wenn man viel Zeit mit dem Studium von Paulus verbracht hat und sich dann plötzlich mit Johannes beschäftigt, insbesondere mit diesem Brief, dann ist die Wirkung in etwa so, als würde jemand von altmodischen, narrativen (erzählenden) Chorälen auf Lieder mit Wiederholungen umsteigen.

Unterschiedliche Autoren prägen die biblischer Bücher und diese Unterschiedlichkeit kommt auch in ihren Briefen oder anderen Schriftstücken zum Ausdruck. Aber in dieser Unterschiedlichkeit drückt sich keine Gegensätzlichkeit sondern der Schatz der Vielfalt und in dieser Vielfalt Ergänzung aus.

Dieser Schatz erschließt sich mir, erschließt sich uns wenn ich mich darauf einlasse, so wie beim heutigen Predigttext, mich in diesen „Singsang“ des Johannes hineinzugeben und zu schauen und zu erleben, was die Schwingungen von erkennen, Vergebung und Überwindung bei mir auslösen.

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Obertüllingen 107
79539 Lörrach-Tüllingen
07621/9153229
eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de

1 WRIGHT, N.T.: Jakobus, Petrus, Johannes und Judas für heute. Brunnen Verlag GmbH 2020. S.163
2 WRIGHT, N.T.: Jakobus, Petrus, Johannes und Judas für heute. Brunnen Verlag GmbH 2020. S.161f
3 WRIGHT, N.T.: Jakobus, Petrus, Johannes und Judas für heute. Brunnen Verlag GmbH 2020. S.161f

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