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Predigt über Hebräerbrief 4, 14-16

am 01.03.1998
Sonntag Invocavit

Ort: Staufen und Münstertal


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder. Liebe Gemeinde

Einleitung

Kennen sie die gelben Seiten, dasjenige Telefonbuch mit dem die Telekom wirbt, darin den- oder diejenige zu finden, der mir bei Problemen helfen kann. Das soll mich davor bewahren, auf Zeitgenossen angewiesen zu sein, die mir zwar gerne ihre Hilfe anbieten, aber leider von der Materie keine Ahnung haben und mit ihrer Hilfsbereitschaft alles nur noch schlimmer machen.

Wenn es um handwerkliche Dinge geht ist das keine Frage, dem Rat der Telekom zu folgen und in die gelben Seiten zu schauen um einen geeigneten Fachmann zu finden. Was aber, wenn ich Rat brauche, der mein Leben anbelangt, wo es nicht um die Reparatur einer defekten Wasserleitung geht. Wohin mit meinen Sorgen und Nöten, an wen kann ich mich wenden, wenn mich Lebensängste und existentielle Sorgen plagen und wem kann ich etwas von meinen geistlichen Nöten erzählen, der mich auch dann noch versteht und sich nicht von mir abwendet?

Auch dafür gibt es speziell ausgebildete Menschen, Psychotherapeuten, Ärzte, Pfarrer oder ähnliche. Ich erwähne das an dieser Stelle um nicht denen das Wort zu reden die meinen, auf den Rat eines guten Therapeuten oder Seelsorgers könne man getrost verzichten. Vielmehr denke ich, daß von der Möglichkeit, sich auch auf diesem Gebiet professionellen Rat einzuholen, viel zu wenig Gebrauch gemacht wird - gerade in unseren, den christlichen Kreisen. Und erlauben sie mir an dieser Stelle die Prognose, daß wir, die christlichen Gemeinden und ihre Gruppen und Kreise, in Zukunft mehr und mehr Anlaufstelle für Menschen in Lebenskrisen sein werden.

Christen stellt sich in Lebenskrisen oft nicht nur die Frage, ob sie sich an eine Fachfrau oder einen Fachmann wenden, sondern sie werden auch von der Frage umgetrieben, ob sie auch mit ihrem Gott über diese Probleme reden können. Interessiert sich dieser scheinbar so ferne Gott für mein Leben, meine Probleme und Ängste und wenn ja, versteht er mich denn? Kann ER nachvollziehen wie es mir geht, in meinen Sorgen um die Zukunft, in meiner Arbeitslosigkeit und in meinen Schwächen. Eine Frage, deren Beantwortung wichtig ist, weil sie mir möglicherweise einen ganz neuen, anderen Zugang zu diesem, meinem Gott ermöglicht.

Ich weiß nun nicht wie es ihnen geht, ob sie sich diese Frage schon einmal gestellt haben. In der Bibel wird uns von Menschen berichtet, die sich damit auseinandergesetzt haben. Sie haben diese Frage formuliert und einen gefunden, der ihnen geantwortet hat.

- Text lesen: Hebr 4,14-16

Im Zentrum dieses Abschnittes steht, und das nicht nur der Reihenfolge nach sondern auch inhaltlich, Vers 15. „Wir haben einen Hohenpriester der mit unserem Erleben und Empfinden mitgehen, mitfühlen kann.“ Wörtlich heißt es, der "sympatesai" mit uns hat, der mit uns mit-leidet. Einer, der nicht nur teilnahmsvoll danebensteht, sondern der mit meiner Situation und meinem Empfinden mitgehen kann. Mir geht dieser Satz runter wie Öl. Das trifft mein Bedürfnislage, da wird mir dieser Gott ganz menschlich und kommt mir ganz nah. Da fühle ich mich gut aufgehoben und verstanden. Und mir und uns wird auf die Frage nach dem verständigen und mitfühlenden Gott die Antwort gegeben: ja, da ist einer, der fühlt nicht nur mit uns mit, der kann auch mit uns mit-leiden, weil er unsere Lebenssituationen kennt.

Die Skeptiker unter uns werden nun sagen, wie kann das denn sein? Wie kann ein Mensch, der vor fast 2000 Jahren gelebt hat, sich meine Sorgen, meine Probleme vorstellen, der ich an der Grenze zum dritten Jahrtausend lebe? Der hat doch keine Ahnung von Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Streß und vielem mehr. Wenn man das so zugespitzt und detailliert formuliert, kann ich dieser Frage und Skepsis durchaus zustimmen. Aber das ist meines Erachtens nicht das Thema. Es geht nicht darum, ob Jesus jede einzelne Lebenssituationen aller Menschen durchlebt hat. Es geht um die Frage, ob Jesus unsere Probleme kennt und die lassen sich in zwei Kategorien zusammenfassen (In der Psychologie wird oft von dem Bedürfnis nach Liebe und Sicherheit gesprochen. Ich denke, daß dies in dieselbe Richtung geht). Da möchte ich zum einen die existentiellen Nöte nennen, die Sorgen und Probleme, durch die wir uns in unserem Leben bedroht sehen. Zum zweiten dann unsere Zweifel an Gott zu nennen. Auf diese zwei Problemgruppen, so behaupte ich einmal, lassen sich nahezu alle unsere Probleme, Sorgen und Ängste zusammenfassen. Und das war zu Zeiten Jesu nicht anders wie in unseren Tagen.

Daraus ergibt sich nun Dreierlei, was ich an dieser Stelle aus dem Predigtabschnitt unterstreichen möchte:

1. Jesus ist der, der mit mir in meinen existentiellen Nöten mitleidet.

2. Jesus ist der, der mich in meinen Zweifeln versteht und durchträgt.

3. Jesus ist der, der mir eine neue Perspektive gibt.

Zum ersten:

1. Jesus ist derjenige, der mit mir in meinen existentiellen Nöten mitleidet.

Da möchte ich zuerst einen Blick zurück tun, besser gesagt an den Anfang des Neuen Testaments. Da wird uns von der Taufe Jesu erzählt. Da macht Jesus zunächst die Erfahrung der Zusage und damit der Nähe Gottes, wie sie wohl kaum jemand von uns je gemacht hat. Er ist der geliebte Sohn Gottes, an dem ER wohlgefallen gefunden hat. Da denkt man doch, jetzt kann nichts mehr schief gehen. Jetzt kann nur noch die Straße des Ruhms und des Erfolges kommen. Vorbei die Zeiten der Entbehrung, vorbei die Zeiten des Mangels und der Anfechtungen. Jesu Weg führte nicht in die Zentren zu den Menschen, sondern in die Wüste wo ihn der Teufel erwartete. Was da geschehen ist, haben wir vor ein paar Minuten als Schriftlesung gehört (Mt 4,1-11).

Jesus ist 40 Tage in der Wüste als ihn hungerte. Aber ich denke mir, das war noch gelinde ausgedrückt, für das, wie es Jesus erging. Da hungerte ihn nicht nur, da war sein Leben bedroht und es bestand Gefahr, daß er verhungerte.

Jesus erlebt was es heißt, das Leben bedroht zu sehen. Wenn einem alle Felle wegschwimmen und nach menschlichem ermessen kein Ausweg zu sehen ist. Auch in unseren Tagen erleben viele Zeitgenossen und viele Mitchristen solche Grenzsituationen. Lebensphasen in denen die Lebensdecke dünn wird. Ich denke, daß dies ein Großteil der 5 Millionen Arbeitslosen in unserem Land erlebt oder an der Grenze dazu steht. Wenn das Ersparte allmählich zur Neige geht, die finanziellen Belastungen aber bleiben und viele nicht wissen, wie sie die Miete für den kommenden Monat bezahlen können. Oder diejenigen, denen vom Arzt die Diagnose einer Krankheit mitgeteilt wird. Es gäbe noch viele Beispiele anzufügen, große und kleine Dinge, welche die Existenz bedrohen oder je nach Person als Bedrohung empfunden werden.

Und genau diese Lebenssituationen kennt Jesus. Er weiß, was es bedeutet, Lebensangst zu haben und er kennt das Gefühl, wenn jetzt nichts geschieht, dann ist es mit mir zu Ende. Das ist das erste, daß Jesus mit mir in diesen Ängsten leidet. Das zweite ist:

2. Jesus ist der, der mich in meinen Zweifeln versteht und durchträgt.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ So hören wir das immer wieder wenn wir in unseren Gottesdiensten taufen. Ich bin der Ansicht, wie oft wir diesen Vers auch hören, er immer etwas bergendes und ermutigendes beinhaltet. Bei der Taufe eines Kindes steht diese Aussage ziemlich am Anfang eines Lebens und ich denke gerade aus diesem Grund wird sie gewählt, ist sie in die Taufliturgie aufgenommen. Wir verbinden damit den guten Wunsch, daß sich Gott dieses noch jungen Lebens annimmt und zu dessen Gelingen beiträgt.

Die Hoffnung, daß unser Leben gelingt und möglichst alles glatt läuft prägt unsere Vorstellungen. Aber was, wenn nicht? Dann werden meist Zweifel an der Fürsorge und Liebe Gottes laut. Da mögen zuvor durchaus Jahre und Jahrzehnte ins Land gezogen sein ohne nach Gott gefragt zu haben, aber in dieser Situation fällt einem diese Zusage wieder ein und man hat einen Sündenbock gefunden.

Aber auch Menschen, die versuchen ihr Leben mit Gott zu leben, kommen in Krisenzeiten in Bedrängnis und Zweifel machen sich breit. Und wir fragen uns, ob mich Gott auch dann noch verstehen, mit mir mit-leiden kann, wenn nagende Zweifel und Skepsis mich umtreiben. Aber auch hier gilt die Aussage aus dem Hebräerbrief. Auch in diesen Situationen, in denen wir uns von Gott nicht verstanden und verlassen fühlen kann der Mann von Nazareth noch mit uns mit. Der Mann, bei dessen Taufe die Stimme vom Himmel sprach: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich wohlgefallen habe.“ und der am Ende seines Lebens am Kreuz aus tiefer Erfahrung schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“.

Dieser Jesus, er versteht uns selbst dann noch, wenn wir an Gott irre werden. Er kann nachvollziehen und mitfühlen, wie ihnen und mir in solchen Situationen zumute ist. Natürlich ändert sich dadurch zunächst nichts an meiner Situation. Die Schwierigkeiten sind immer noch da und die Ängste und Sorgen bedrücken immer noch. Aber vielleicht öffnet sich von hier aus auch der Blick zu dem dritten, was ich unterstreichen möchte:

3. Jesus ist der, der mir eine neue Perspektive gibt.

Eigentlich ist das gigantisch! Das müssen sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: „Mit Freimut zum Thron der Gnade, zum Thron Gottes hinzutreten.“ Wir leben in einer Zeit, in der es immer mehr dazugehört einen Terminkalender zu besitzen und die Anwort der Frage, ob ich für jemanden Zeit habe, davon abhängt, ob ich noch einen Termin frei habe. Und dies nicht nur, wenn es um einen Termin beim Arzt oder einer Behörde geht, sondern zwischenzeitlich auch schon im privaten Bereich.

In unserem Briefabschnitt begegnen wir ganz anderen Tönen und ich finde diese Zusage einfach umwerfend. Da wird uns ein freier Zugang versprochen, ohne uns an irgendwelchen Terminkalendern oder Vorzimmerdamen oder -herren vorbeimogeln zu müssen. Hinzutreten, und das ohne Hemmungen, dann wann es dran ist und mich die Not oder vielleicht auch die Freude treibt zu kommen. Hinzutreten mit der Gewißheit, daß da einer ist, der mir zuhört, der ein offenes Ohr für ich hat und mich versteht. Hinzutreten in der Gewißheit ein Gegenüber zu haben, der mich und meine Situation versteht, weil er sie aus eigener Erfahrung her kennt und daher "sympatesai" mit mir hat, mit mir mit-leiden kann (vgl. Mt 7,7ff. 27,17).

Schluß

„Haltet fest am Bekenntnis“ das ist die Aufforderung die damals an die Adressaten des Hebräerbriefes erging und die auch an uns heute wieder ergangen ist. Aber hier handelt es sich bei Leibe nicht um eine der billigen Durchhalteparolen, die wir oft zu hören bekommen. „Kopf hoch Junge, es wird schon wieder werden“.

Denn wir bekennen den, der in der Welt Angst hatte, aber diese Angst und diese Welt überwunden hat. Überwunden, weil er sein Vertrauen zu seinem Gott nie aufgegeben hat. Das ist eine Perspektive, die, wie ich finde, Mut macht, eine Perspektive für die es sich lohnt, sich diese einzuüben und sich anzueignen. Dabei gilt, daß die Grundlage für unser festhalten am Bekenntnis DER ist, der mit unseren existentiellen Nöten mitleidet, der uns in unseren Zweifeln trägt und der uns diese neue Perspektive gegeben hat.

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Belchenring 20
D-79219 Staufen
0173/6704938
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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