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Predigt über Markus 12, 28-34

am 25.8.2019
10. Sonntag nach Trinitatis

Ort:
Tüllingen, St. Ottilienkirche


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Was sind die Themen und die Fragen unserer Zeit und unserer Gesellschaft(en)? Und wer gibt uns diese Themen und Fragen vor? Kommen wir überhaupt einmal zur Ruhe um uns mit einem Thema, wenn auch nicht vollständig und ausgiebig so doch zumindest ausgiebig zu beschäftigen? Bin ich überhaupt noch in der Lage aus Flut an Meldungen und Überschriften mit denen uns die Medien Tag für Tag konfrontieren zu klären und herauszufinden, was für uns, für sie und mich ganz persönlich von Belang und Bedeutung ist?

Sie sind heute in diesen Gottesdienst gekommen und daher gehe ich davon aus, dass sie herausfinden wollen, was für ihr Leben und nicht nur für ihr irdisches Leben sondern auch für ihre Gottesbeziehung von Bedeutung ist. Ähnlich vielleicht wie jener Schriftgelehrte, der eines Tages zu Jesus gekommen ist, weil ihn folgende Frage umgetrieben hat: Welches ist das höchste Gebot von allen?“ (V.28). Was war die Antwort, die Jesus gegeben hatte? … „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben…“ Das hätte ich vermutlich spontan auch so gesagt, wenn man mich danach gefragt hätte. Aber Jesus setzt etwas anderes an die erste Stelle:

- Text lesen: Markus 12, 28 - 29 -

„Das höchste Gebot ist: Höre Israel: der Herr unser Gott ist der Herr alleine (LU2017) – Das ist die „Sch‘ma Israel“, das ist das Glaubensbekenntnis eines jeden gläubigen Juden das er zweimal am Tag betet. Mit diesem Bekenntnis auf den Lippen und der Gewissheit der Gegenwart ihres Gottes sind abertausende Juden in die Gaskammern der Nazis gegangen.

Am Anfang steht also nicht das allgemein erwartete fordernde „du sollst“ sondern das erwählende „ich bin dein Gott“. Bevor Gott etwas von uns fordert sagt er uns – ihnen und mir - zu, dass er mit uns Gemeinschaft haben, mit uns in Beziehung treten möchte. Ich denke wir dürfen dieses Bekenntnis Gottes heute auch persönlich für uns nehmen. Gott liebt diese Welt und er liebt uns, einen jeden von uns. Dieses Bekenntnis steht am Anfang und erst dann, kommt das was wir anfänglich vermutet haben:

- Text lesen: Markus 12, 30 - 34 -

Aus der Antwort die Jesus dem Schriftgelehrten gibt, leite ich drei Grundaussagen ab, die für uns bedeutsam, vielmehr entscheidend sind wenn uns die Frage nach Gott, unserer Gottesbeziehung und nach dem tieferen Sinn unseres Lebens beschäftigt:

  • Gottes-Erwählung
  • Gottes-Liebe - agape
  • Nächsten-Liebe - agape
  • 1. Gottes-Erwählung

    Das Erste was Jesus dem Schriftgelehrten auf seine Frage nach dem höchsten Gebot antwortet ist das „Sch’ma Israel“: „Höre Israel – der Herr dein Gott – ist der HERR alleine! Am Anfang steht dieses Postulat, diese Grundaussage Gottes: ER ist Gott, und nur ER alleine. Und dieser Gott hat das Volk Israel als sein Volk auserwählt, angefangen bei Abraham. Ihm gibt sich Gott als der erwählende, als der sich den Menschen zuwendende Gott zu erkennen. Bei Abraham beginnt diese Erwählungsgeschichte. Bei einem Mann der Gott nicht kannte und der vermutlich etwas ganz anderes im Sinn hatte. Diesen Mann spricht Gott an: „Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“

    Und was Gott einst Abraham als Erwählung kundtut findet seine Fortsetzung, Erweiterung auf uns wenn Paulus an die Gemeinde in Rom schreibt: Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist (siehe Rö 5,8 -> 8,34; Joh 3,16; Eph 2,4.5; 1Thes 5,10; 1Joh 3,1). So spricht Gott auch uns an, will auch uns hineinrufen in eine Beziehung, in die Gemeinschaft mit IHM.

    In dem was Jesus dem Schriftgelehrten antwortet wird deutlich, dass es Gott nicht zuallererst um Forderungen, um Gebote, um das „du musst“ oder „du sollst“ geht, sondern um Beziehung. Darum, dass wir uns in unserem Leben und in unseren Lebensvollzügen auf diesen Gott einlassen. All unser Tun, Denken, Reden kann und soll sich aus dieser Gottesbeziehung ableiten.

    Die zweite Grundaussage – das erste Liebesgebot: „… du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5.Mose 6,4-5). Wir sollen diesen Gott lieben – soweit so klar? Oder fängt damit das Problem nicht erst an? Was heißt denn „lieben“?

    2. Gottes-Liebe - agape

    Starten wir mit einer kleinen Begriffsexkursion. Im Deutschen haben wir nur einen einzigen Begriff mit dem wir das ganze Spektrum abdecken, was mit lieben und Liebe gemeint sein kann. Hier – und bei manch anderen Begriffen – ist das Griechische weit kreativer und vielfältiger und kennt mehrere Begriffe die jeweils einen ganzen bestimmten Aspekt beleuchten.

    Was uns bei Liebe/lieben vermutlich als erstes einfällt ist die erao – die erotische oder sinnliche, begehrende, verlangende Liebe zwischen Mann und Frau. Diese erotische Liebe ist ein mächtiger Faktor in unserem Leben und nicht immer so steuer- und kontrollierbar und reflektiert zu handhaben, wie es gut wäre. Sie wird als spontane Macht erfahren und spiegelt die Freude des antiken Griechen an körperlicher Schönheit und sinnlichem Begehren wieder. In vielen Religionen oder Kulten erlangt sie auch mystische Bedeutung im Sinne von Einswerdung mit den Göttern.

    Und dann gibt es da noch die brüderliche Liebe – phileo. Das ist der am weitesten verbreitete Begriff und meint soviel wie Neigung, eine Sache, ein Verhalten (z.B. Mt 6 ,5) oder eine Person mögen oder gerne haben. Im Bezug auf Menschen kann damit die geschwisterliche oder auch die freundschaftliche Liebe gemeint sein. Manchmal wird mit diesem Begriff auch die Gastlichkeit umschrieben.

    Soweit der kleine Begriffsexkurs ins Griechische. Kann es sein, dass Jesus einen dieser beiden Begriffe gemeint hat? Dass es bei der von Jesus angesprochenen Liebe um etwas anderes als die erotische oder freundschaftliche Liebe geht wird auch im deutschen erkennbar. Denn kann Liebe angeordnet oder gar befohlen werden? Das geht doch nicht, Gefühle kann man nicht verordnen – also muss etwas anderes dahinter stecken.

    Um Verwechslungen zu vermeiden oder sie erst gar nicht entstehen zu lassen, wird in den griechischen Übersetzungen des AT und den Schriften des NT auf diese beiden Liebes-Begriffe nahezu vollständig verzichtet. Statt dessen taucht ein anderes, bis dahin im klassischen Griechisch nahezu ungenutztes Wort auf das für die Beziehung zwischen Gott – Mensch angewandt wird: agape – Gottes-Liebe1. Mit diesem Wort findet nicht nur eine begriffliche Akzentuierung, sondern auch eine inhaltliche Gewichtung statt. Es beschreibt nicht die besitzergreifende und begehrende Liebe oder Sympathien und Neigungen sondern die freundliche Hinwendung um des anderen willen.2

    Sie ist keine Um- oder Beschreibung der Eigenschaften Gottes oder seines Wesens. Vielmehr wird mit diesem Wort sein Tun, seine Aktivitäten beschrieben. Was Gott tut ist Liebe! Glauben sie das? Angesichts dessen was in dieser Welt, in unserem Land, unserer Stadt und in unseren Familien alles an Lieblosigkeit geschieht? Wo bleibt die Liebe angesichts von Krankheit, Tod und Leid? Ist Gott auch da? Hier eine befriedigende Antwort zu geben ist schwierig. Aber meine Haltung ist, dass Gott auch im Leid gegenwärtig ist, sonst wäre es sinnlos.

    Bei der göttlichen Liebe geht es um mehr und/oder um etwas ganz anderes als alleine um Gefühle oder Emotionen, um Neigungen oder Sympathien. Bei Paulus steht es gleichrangig neben pistis – Glaube, um unsere Antwort auf Gottes erwählendes Handeln zu umschreiben. Liebe meint nicht eine Gefühlsreaktion oder ein Bekenntnis. Bei der Gottes-Liebe geht es um eine Haltung aus der heraus konkrete Handlungen erwachsen. Diese Liebe, diese Haltung zu Gott vollzieht sich in der Zuwendung zu Gott und diese lässt sich einfordern.

    Diese Liebe, diese Hinwendung zu Gott soll nicht einfach nur so geschehen, sondern mit unserem ganzen Mensch-Sein. Wir sollen uns Gott ganz hinwenden:

    - ganzem Herzen -> als Sitz unserer Erkenntnis und unserem Willen;
    - Hingabe/Gemüt/Wesen -> umschreibt unsere Fähigkeit als bewusstes Wesen zu leben, das denkt und eine Gesinnung hat;
    - Seele -> der Bewegtheit des Menschen, seine Fähigkeit zu empfinden und zu fühlen;
    - Kraft -> unser Wollen und Können3

    Unsere Hinwendung zu Gott soll nicht nur einen Teil meines Lebens umfassen, sondern mich als ganzen Menschen, mit allem was ich bin, was ich kann und will und mir möglich ist. Das heißt nicht, dass Gott alles ist, aber dass ohne Gott alles nichts ist. Anders ausgedrückt: es gibt in meinem Leben mehr als Gott - gewiss, sonst müsste ich zölibatär und kommunitär leben und das ist bei den wenigsten Menschen der Fall. Aber in allem sollte Gott mit dabei sein. Auch als durch Christus wiedergeborene Menschen leben wir weiterhin oder erst Recht in dem Spannungsfeld. Gerade hier, im Spannungsfeld zwischen Wollen und Vollbringen geht es darum, dass ich Gott hineinnehme in allen meinen Lebensvollzügen von Herz – Hingabe/Gemüt/Wesen – Seele – Kraft.

    Und mit diesem Wort agape wird auch unsere Haltung zum Nächsten beschrieben: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18).

    3. Nächsten-Liebe

    Das ist sicherlich der heikelste Punkt. Denn es kann sehr schnell der Eindruck entstehen, als geht es hier ums moralisieren oder um den erhobenen Zeigefinger. Ganz im Gegenteil! Wenn sie im Folgenden je dieser Eindruck beschleichen sollte, hören sie bitte nicht mehr zu, denn darum geht es in keinster Weise, denn dann führe ich sie auf einen Holzweg!

    In seiner Antwort an den Schriftgelehrten verbindet Jesus zwei Aussagen aus dem Alten Testament - 5Mos 6,4f mit 3Mos 19,18 (bedenke auch Jak 2,8).

    Ausgangspunkt all meines Tuns und Seins als Christenmensch ist meine Beziehung zu Gott. Aus dieser Beziehung gestalten sich all unsere Lebensvollzüge im Blick auf mich selbst und meine Mitmenschen. Denn wenn Gottes-Liebe die treibende und prägende Kraft in meinem Leben ist, dann hat das auch Auswirkungen auf meine zwischenmenschlichen Beziehungen.

    Aber was heißt denn überhaupt den Nächsten lieben? Wie soll das gehen? Auch hier geht es nichts in erster Linie um Gefühle oder Emotionen sondern um eine Haltung, denn wie gesagt, nur eine Haltung lässt sich einfordern. Und mit diesem Gebot der Nächstenliebe ist eine Haltung gemein, die im Nächsten die Schwester, den Bruder sieht. Nicht aus Sentimentalität, sondern weil ich in ihm den Menschen sehe, der in gleicher Weise von Gott geliebt ist wie ich selbst und für den Gott auch alles getan und gegeben hat. Nächstenliebe meint die Zuwendung zum Nächsten um seiner selbst Willen. Das bedeutet dass ich ihn als Bruder annehme und ihn zu seinem Recht kommen lasse. Paulus hat es einmal so formuliert: „In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.“ (Phil 2,3). Dieser Aspekt entfaltet sich in der Sozialgesetzgebung des Alten Testaments das insbesondere das Recht von Fremdlingen (Lev 19,34), Armen (Lev 25,35) und Waisen im Blick hat4. Und diese biblischen Ansätze haben sich letztlich auch in unserer Sozialgesetzgebung niedergeschlagen Die Nächstenliebe erwächst nicht aus einem ethischen Katalog sondern allein aus meiner Beziehung zu Gott. Die Liebe zum Nächsten ist nicht nur einfach Sympathie und Zuneigung. Sie speist sich alleine aus der von Gott empfangenen Liebe in Christus.

    In seiner Radikalisierung der Feindesliebe (Mt 5,43ff) überschreitet Jesus die jüdische Tradition bei Weitem und setzt ganz neue Maßstäbe. Jesus der liebende Gottessohn liebt sogar seine Feinde, diejenigen, die ihn am Kreuz hinrichten und stirbt auch für sie.5

    Schluss

    Das Gespräch mit dem Schriftgelehrten endet mit der Aussage Jesus, Du bist nicht mehr fern von Reich Gottes. Was ist das, was diesem Mann noch fehlt? Jesus lässt uns hier Ungewissen, anders als bei dem reichen Jüngling in Kap 10,21: Eines fehlt dir, gehe hin und verkaufe alles und gib es den Armen so wirst du einen Schatz im Himmel haben und komm, nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach. Hier bleiben wir im ungewissen – zumindest was diesen Schriftgelehrten anbelangt.

    Aber für uns selbst können wir eine Standortbestimmung vornehmen: Wo stehen wir, wo stehen sie und stehe ich in meiner Beziehung zu Gott? Lasse ich mich vom dieser Gottes-Liebe prägen und bestimmen? Hat sie Auswirkungen auf meinen Alltag, mein Leben und mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen? Die Verse des heutigen Predigttextes sprechen diese Einladung Gottes sich seiner Gottes-Liebe auszusetzen einmal mehr an uns aus: Hört ihr Christen aus Tüllingen, ich bin euer Gott und ich liebe euch mit meiner Liebe. Wenn ihr dies für euch erkennt dann tretet ihr in den Machtbereich meiner Gottes-Liebe ein und werdet selbst zu Gottes-Liebe-nden.6 (Darum: nehmt meine Liebe an!)

    Amen.

    - Es gilt das gesprochene Wort! -

    Diese Predigt wurde verfasst von:
    Karl-Heinz Rudishauser
    Obertüllingen 107
    79539 Lörrach-Tüllingen
    07621/9153229
    eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de

    1 GÜNTHER, W.; LINK, H.-G.; in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament II; R. Brockhaus, Wuppertal, 19864; S. 896, Punkt 3)
    2 ebenda und II. 1a) c)
    3 Vgl. HERMANN, Stefan; in: Zuversicht und Stärke. Oktober-November 2003, 1.Reihe - Heft 6 S.47
    4 GÜNTHER, W.; LINK, H.-G.; in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament II; R. Brockhaus, Wuppertal, 19864; S. 896
    5 a.a.O. S. 899
    6 a.a.O. S. 899 S. 900

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