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Predigt über Markus 2, 1 - 12

am 10.10.2010
19. Sonntag nach Trinitatis

Ort:
Staufen und Münstertal


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Haben sie gewusst, dass eine Gemeinde, wenn sie weniger als 30% freie Sitzplätze hat, nicht mehr weiter wächst? Wenn ich mich so umschaue, und diese Regel tatsächlich zutrifft, dann haben wir hier in Staufen noch gutes Wachstumspotential. Natürlich kommen Menschen nicht nur dorthin, wo es noch freie Sitzplätze gibt, da muss schon mehr passieren und "geboten" werden. Aber wenn dieses andere alles stimmt, dann gilt wohl diese "Gesetzmäßigkeit", so jedenfalls die Vertreter dieser Theorie.

30% freie Sitzplätze, weil sie diese nicht mehr hatten, gibt es in einer Gemeinde in Lörrach 2 Gottesdienste am Sonntag, weil der Platz nicht mehr reicht. Das ist eine Variante. Die andere wird derzeit diskutiert, ob man sich räumlich vergrößert, um das "Fassungsvermögen" zu erweitern.

Jetzt könnten wir, wie ich das auch getan habe, trefflich darüber streiten, ob diese "Gesetzmäßigkeit" wirklich stimmt und in wie weit sie anwendbar ist und, und, und. Und natürlich kommt es beim Wachstum, wenn überhaupt, nicht allein auf zahlenmäßiges Wachstum an, sondern auch auf die Güte.

Trotzdem haben mich diese 30% freie Plätze herausgefordert, weil sie uns als Gemeinde hinterfragen. Wer kommt in unsere Gemeinde und wer bleibt weg und warum? Denn nicht immer bleiben die Menschen weg, wenn es keinen Platz mehr gibt. Und umgekehrt kann es sein, dass trotz Überfüllung weitere Menschen dazukommen.

- Text lesen: Mk 2, 1 - 12

In diesem Bericht ganz zu Beginn des Markusevangeliums, da kommen die Menschen, obwohl es schon lange keinen Platz mehr in dem Haus gibt, sie schon längst auf der Straße stehen und versuchen zumindest etwas von dem mitzubekommen, was in diesem Haus geschieht. Die Menschen werden förmlich angezogen, angezogen von dem Menschen der in diesem Haus zu Gast ist. Von seiner Botschaft und von dem was er tut.

In der Homiletik, in der Lehre vom Predigen wird den Studenten früh beigebracht, dass jeder Predigttext einen sogenannten "Skopus" hat, eine Kernaussage, die dann in der Predigt ausgearbeitet wird. Ich konnte mich mit dieser Theorie nie richtig anfreunden. Nach meiner Erfahrung kann ein solcher Skopus durchaus schwanken. Die Aussagen der Bibel haben für mich eine große dynamische Komponente. Denn je nach meiner eigenen Verfassung und Lebenssituation können biblische Aussagen und Geschichten einen ganz unterschiedlichen Schwerpunkt entfalten. Und dieser Schwerpunkt kann durchaus von mal zu mal, von Lebenssituation zu Lebenssituation ein anderer sein.

In diesen Versen aus dem Markusevangelium lautet mein persönlicher Skopus für diese Predigt: "Als Jesus ihren Glauben sah".

1. Ihren Glauben sah

Mich hat dieser Satz von der ersten Begegnung mit dieser Geschichte fasziniert, weil er gleichzeitig auch etwas sehr tröstliches für mich hat. Was meine ich damit? Es geht um den gemeinschaftlichen Glauben. Haben sie so etwas schon einmal erlebt? Natürlich haben wir einen gemeinschaftlichen Glauben der Art, dass wir an die biblische Botschaft glauben, darauf vertrauen, was über Jesus und sein heilshandeln für uns berichtet wird.

Aber gemeinschaftlicher Glaube hat für mich noch eine andere Dimension, dann wenn es um ein ganz konkretes "Glaubensprojekt" geht. Ich räume ein, dass ich solche "Projekte" nicht jeden Tag und auch nicht jeden Monat erlebe. In meinem Leben sind sie eher selten und dennoch haben sie eine besonderes Gewicht entfalten können. Es ist auch etwas, was ich nicht allein, wie der Name ja schon sagt, entfalten kann. Da braucht es Christen, Schwestern und Brüder, die mit mir an einem solchen Projekt glauben.

Zwei solcher "Projekte" fallen mir aus dem Leben dieser Gemeinde ein, die ich miterlebt habe. Einmal war es das gemeinschaftliche Gebet für die Tochter eines Gemeindemitgliedes im morgendlichen Gebetskreis. Da war unausgesprochen klar: jetzt müssen die Mitbeter eintreten, weil die Familie "an die Grenzen ihres Glaubens" gekommen war. Ein anderes Beispiel war der Glaubenskurs "Christ werden und Christ bleiben" vor vielen Jahren. Es war nicht nur die gemeinsame Vorbereitung und das organisieren und planen, sondern auch das gemeinschaftlich festhalten an den Verheißungen Gottes dass Menschen auch in dieser Gemeinde zum Glauben an den lebendigen Gott kommen.

Und nun diese fünf! Das Lebensschicksal dieses gelähmten Mannes ist uns verborgen. Aber alles was wir aus jenen Tagen wissen ist, dass es, um es einmal etwas salopp zu formulieren, alles andere als ein Zuckerschlecken war. Wir wissen nicht, was er schon alles geglaubt und unternommen hat, wieviel Opfergaben und Gebete gebracht wurden, um diesem Schicksal zu entrinnen, dem Leben doch noch eine Wendung hin zum Guten zu geben.

Nun werfen die fünf all ihren Glauben, je nach ihrem Vermögen, noch einmal in die Waagschale, hängen sich an das, was sie von diesem Mann aus Nazareth gehört haben. Gesagt wird nicht, was sie von Jesus wollen, aber wir können es erahnen. Und was sie alles in Bewegung setzen um zu Jesus zu kommen, unterstreicht und belegt ihren Glauben. Bei solchen Geschichten fällt oft das Schlagwort vom "großen Glauben". Wir assoziieren damit "viel" Glauben. Aber bei Jesus geht es mehr um die Qualität des Glaubens (Gleichnis vom Senfkorn Mt 13,31f), wie echt und authentisch mein Glaube ist, ob ich mich diesem Jesus bedingungslos anvertraue.

Hier bin ich bei meinem zweiten Gedanken:

2. Ihren Glauben sah

Glauben - muss, kann, darf man da noch etwas dazu sagen? Ist nicht schon alles gesagt und geschrieben? Eigentlich schon - und uneigentlich? Ich bin davon überzeugt, dass man, wir, sie und ich mit diesem Thema nie am Ende sind, es jemals voll und ganz erfasst haben. Da erleben wir immer wieder die Pole zwischen himmelhochjauchzend und "zu Tode betrübt". Haben Tage, an denen wir mit unserem Glauben Berge versetzen können und andere, an denen wir nur noch rufen, stöhnen können "Herr hilf meinem Unglauben".

Aus eigener Erfahrung erlebe ich immer wieder, wie missverständlich die Worte "Glaube und glauben" in unseren Zeit angewandt und letztlich auch verstanden werden, auch in unseren christlichen und kirchlichen Kreisen. Daher sollten wir uns immer wieder die biblische und letztlich für uns maßgebende Bedeutung dieser Worte bewusst zu machen.

Aber Glaube und glauben haben nicht nur diese theologische Bedeutung im Sinne einer Begriffsklärung und -definition. Wenn wir uns die Frage nach unserem Glauben stellen, dann hat das immer auch eine eschatologische Dimension. Was meine ich damit?

In und durch unseren Glauben wirkt Gott hinein in unsere Leben, wirkt ER hinein vom "Jenseits" hinein in unser "Diesseits", hinein in unserem Alltag. Da kommen "Zeit" und "Ewigkeit" zusammen. Durch unseren Glauben werden wir in Beziehung gesetzt zu Gottes jenseitiger Welt, erhält unser Leben eine ganz andere Dimension. Was wir erleben, was mit und an uns geschieht, trägt nicht mehr nur die Prägung dieser Welt. Wir beginnen nicht mehr nur nach den vorletzten, sondern auch nach den letzten Dingen1 zu fragen .

Während die Überlegungen zur Begrifflichkeit und Verständnis von Glauben eher theoretischer Natur sind, zeigt uns diese Geschichte, in der Jesus auf den Glauben dieser fünf hinweist, dass Glauben eben noch diese zweite Dimension hat. Durch unseren Glauben kommen unsere Lebenswirklichkeit und Jesus und damit die göttliche Wirklichkeit zusammen. Durch ihren Glauben, das Vertrauen, dass es sich in jedem Fall lohnt zu Jesus zu gehen setzen sich jene fünf Männer in Bewegung und gehen zu Jesus. Die vier bringen ihren Kameraden zu Jesus. In der Wirklichkeit Gottes erfährt das Leben dieses Gelähmten eine andere Wertigkeit. Diese wird von Jesus angesprochen: "Dir sind deine Sünden vergeben." Dein Leben und deine Beziehung zu Gott ist geheilt. Vermutlich haben sie zunächst etwas anderes bei Jesus gesucht und erhofft zu finden. Den umstehenden Schriftgelehrten wird die Tragweite dieser Zusage sofort klar: nur Gott kann unser Leben wieder in Ordnung bringen. Denn jenseits von allem "gesund werden" geht es vor allem und letztlich ums "Heil werden".

Vielleicht waren die fünf im ersten Augenblick enttäuscht. Aber vielleicht ist ihnen in der direkten Begegnung mit Jesus erst wirklich klar geworden, worauf es letztlich ankommt. Natürlich ist es nicht schön gelähmt zu sein, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Keiner von uns wünscht eine solche Situation. Aber diese und andere Erzählungen machen deutlich, warum Jesus in diese Welt gekommen ist. Er will und ist nicht Wunderheiler für unsere Gebrechen. Er ist der Retter, der Heiland dieser Welt. Er ist der, der unsere kaputte Beziehung zu Gott heilt. Allein darum geht es, auch in unseren, in ihrem und meinem Leben.

3. Ihren Glauben sah

Jakobus stellt in seinem Brief heraus, dass der Glaube Werke hervorbringen muss, sonst ist er tot. Im Christ sein geht es also um einen lebendigen Glauben, um einen Glauben, der uns in Bewegung versetzt, so wie diese Männer in unserer Geschichte. Sie suchen oder bauen eine Trage, legen den Gelähmten darauf und machen sich auf den Weg zu Jesus. Damit aber nicht genug. Als ihnen der Weg ins haus verwehrt ist kehren sie nicht einfach enttäuscht um, sondern suchen einen anderen Weg.

Dieser Bericht verdeutlicht mir, dass unser Glaube in unserem Leben sichtbar, erkennbar wird. Sei dies nun in großen, spektakulären Ereignissen oder im kleinen und verborgenen. Glaube wird wahr genommen, wird gesehen, auch in unseren Tagen auch in unserem Leben. In der Hoffnung und Zuversicht, die wir in uns tragen. Möglicherweise auch in praktischen Dingen, die sich in unserem Leben geändert haben, und sei es, dass uns der sonntägliche Gottesdienstbesuch oder die Mitarbeit in der Gemeinde wichtig geworden sind. Sei es, dass unsere Wertegerüst eine andere Basis erhalten hat und wir Orientierung in der Bibel suchen.

Glaube wird gesehen, in vielerlei Facetten und Ausdrucksformen, in unserer Lebenshaltung und -gestaltung.

Schluss

Ob Jesus die 30%-Regel kannte? Wohl kaum und wenn, dann frage ich mich um er sich darum gekümmert hätte. Jesus ging es nicht um volle oder leere Stühle und ob noch Platz ist in unseren Gottesdiensten. Ihm ging es allein um das Heil der Menschen, auch um unser Heil hier in Staufen.

Dieses Heil Gottes steht über all unseren menschlichen Wünschen und Vorstellungen. Dieses Heil erschließt sich uns durch den Glauben, unseren persönlichen und unseren gemeinschaftlichen. Durch diesen Glauben kommt Jesus in unsere Lebenswirklichkeit, hinein in unser Leben. Und dieser Glaube setzt und hält uns in Bewegung, in ihm wird das Heil Gottes sichtbar und zu einer Einladung für andere.

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Obertüllingen 107
79539 Lörrach-Tüllingen
07621/9153229
eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de
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