Predigt über Markus 3,31-35
am 29.08.1999 13. Sonntag nach Trinitatis |
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Ort: Neuenburg/Zienken |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder
Einleitung
Es kann nicht spurlos an ihnen vorübergegangen sein, ich kann es mir eigent-
lich nicht vorstellen. Gestern wurde deutschland- wenn nicht sogar weltweit
des 250. Geburtstages des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethes ge-
dacht. Goethe, einer der ganz großen seines Faches.
Goethe wuchs in einer intakten, gut bürgerlichen Familie auf und der Weg des
Sohnes war vorgezeichnet. Aber Goethes löste sich aus der bürgerlichen Fa-
milie und ging seine eigenen Wege, setze seine Prioritäten anders.
Im heutigen Predigttext geht es zwar nicht um Goethe, aber auch um die Frage
unserer Prioritäten und deren Auswirkungen in unserem Leben und Alltag.
- Text lesen: Markus 3, 31-35 -
Darf ich sie fragen, welche Empfindungen sie beim Hören hatten?
Drei mögliche Reaktionen könnte ich mir vorstellen: Neben derjenigen, daß
ihnen die Verse augenblicklich nichts sagen, weil ihr Erlebnishorizont und ihre
Erlebniswelt momentan eine ganz andere ist, scheinen mir zwei weitere Reak-
tionen / Empfindungen möglich zu sein:
Da gibt es diejenigen unter uns, die mit ihrer Familie Probleme haben, und sich
in diesen Versen bestätigt fühlen und sagen, ja die Familie kann zur Last, zum
Hemmschuh werden. Sie stimmen dem zu, daß die Familie (oft) nichts ver-
steht, vor allem dann, wenn es um Fragen der Religion und speziell des christ-
lichen Glaubens geht. Wenn Familie und Angehörige nicht mitkönnen in Fra-
gen von Berufung und Einsatz im Reich Gottes dann wird sie uns fremd und
distanziert.
Aber ich kann mir auch noch eine dritte Gruppe in deren Reaktion vorstellen.
Diejenigen die beim hören dieser Verse verwundert darüber sind, wie barsch
und hart Jesus mit einer Familie umgeht. Verwunderung deswegen, weil sie in
ihrer Familie Geborgenheit, Halt und Unterstützung erfahren, gerade auch in
der Nachfolge Jesu.
So scheint also das Thema dieser Verse eindeutig zu ein: es geht um uns und
unser Verhältnis zur Familie oder umgekehrt. Aber je länger ich über diese
Geschichte und deren Inhalt nachgedacht habe, für mich versucht habe, Licht
in das Verhältnis Jesu zu seiner Familie zu bringen, um so deutlicher wurde
mir, daß Markus diese Begebenheit nicht deswegen aufgeschrieben hat
(auch bei Matthäus nachzulesen Mt 12,49), um
das Thema Familie zu behandeln. Weder das Verhältnis Jesu zu seiner Fami-
lie im speziellen, noch unser Verhältnisse heute im allgemeinen ist das Thema.
Es ist sicherlich richtig und ich stimme denen zu die an dieser Stelle einwen-
den, daß Jesus Probleme mit seiner Familie hatte. Aber ich möchte auch dar-
an erinnern daß wir ebenso Stellen finden die uns belegen, daß Jesus seine
Familie auch wichtig war.
Und so lautet das Thema, das uns vorgeben und in das wir mit diesen Versen
hineingenommen werden:
1. Jesus fügt uns ein in eine neue Gemeinschaft
2. Jesus mutet uns Trennungen zu
3. Jesus nimmt uns in die Pflicht
1. Jesus fügt uns ein in eine neue Gemeinschaft
Führen wir uns zu Beginn nochmals die Situation vor Augen, in der sich die im
Predigttext gehörte Szene abgespielt hat. Jesus ist in einem Haus und die
Volksmenge schart sich um ihn. Wir wissen nicht, was die Menschen damals in
jenes Haus geführt hat. Vielleicht war es der Wunsch nach Heilung eines kör-
perlichen oder psychischen Gebrechens oder Krankheit, vielleicht der Wunsch
nach Zuspruch oder einfach nur Neugierde.
In dieser Szene spiegelt sich für mich zunächst die Grundhaltung Jesu
wieder, wie er Menschen begegnete. Jesus nimmt die Menschen an, so wie sie
zu ihm kommen. Er macht nicht als erstes Schubladen auf, in die er dann ein-
teilen und einsortieren kann, bei ihm steht zuerst die bedingungslose Annahme
der Menschen die zu ihm kommen - damals wie heute! Erinnern wir uns: Er
schreibt dem Zöllner, in dessen Haus er eingeladen ist, nicht zuerst vor, was er
in seinem Leben erst ändern muß bevor er eintritt. Gott verlangt nicht von uns,
uns zu ändern bevor er seinen Sohn ans Kreuz nageln läßt. Bevor wir den er-
sten Schritt machen und tun können, kommt ER auf uns zu (Rö 5,8; 1.Joh 4,10).
Um so mehr überrascht es, wie Jesus auf den Hinweis reagiert, daß seine
Mutter und seine Geschwister vor der Türe stehen und nach ihm verlangen. ER
wendet sich an seine Zuhörer mit der Frage: “Wer sind meine Mutter und mei-
ne Brüder?” Und ich denke mir daß diejenigen, die die Antwort gehört haben
etwas verwundert waren. Denn sie bezeichnet Jesus als seine Mutter und sei-
ne Brüder.
Jesus will mit dieser Aussage gegenüber seinen Zuhörern nicht den Bruch mit
seiner Familie begründen, sondern damit zum Ausdruck bringen, daß diese
hineingenommen sind in neue Gemeinschaft: Ihr, die ihr hier um mich herum
auf dem Boden sitzt, und ihr in Neuenburg auf euren Kirchenstühlen, gehört zu
meiner Familie! (vgl. dazu im Gegensatz Mt 12,49) So ruft Jesus Menschen hinein in eine neue Gemeinschaft,
hinein in eine neue Familie.
Und wir hätten zu kurz gedacht, verstünden wir dies als einmalige Sache. Die-
ser Ruf gilt immer wieder dann, wenn wir ihn hören können. Als Menschen die
bereits mit Jesus leben oder auch als Menschen die noch unentschlossen und
auf der Suche sind.
Jesu Zuhörer damals, so stelle ich mir vor, waren sicherlich über seine Einla-
dung verwundert, so etwas ist ihnen noch nicht untergekommen. Was der ein-
zelne aus dieser Einladung gemacht, wird uns nicht berichtet. So bleibt diese
Einladung zunächst stehen und fordert diejenigen heraus, die sie hören, da-
mals und heute!
2. Jesus mutet uns Trennungen zu
So freudig und frohmachend diese Einladung für uns auch ist, sollten wir dabei
nicht aus den Augen verlieren, was damit verbunden sein kann (Lk 14,28). Am eigenen
Beispiel macht Jesus deutlich, daß er diejenigen, die seine Einladung anneh-
men, auch immer wieder in Lebenssituationen führt, in denen uns Trennungen
zugemutet werden. Wer sich zur Familie Gottes zählen will und zählt muß da-
mit rechnen, daß von ihm Trennungen verlangt werden. Und mit Trennung
meine ich jetzt zunächst und zuförderst die Frage nach den Prioritäten und
Wertmaßstäben in unserem Leben.
Was uns am Beispiel des “Umgangs” Jesu mit seiner Familie vor Augen ge-
führt wird ist nicht, daß uns gesagt wird, brich mit deiner Familie, sondern: ler-
ne (in ganz bestimmten Situationen) Prioritäten zu setzen. Am Beispielt seiner
eigenen Familienangehörigen demonstriert uns das Jesus. Aber nicht um uns
zu zeigen, wie wenig die Familie uns zu bedeuten hat, sondern daß Jesus ge-
rade in einem Bereich, in dem es besonders schwer ist, seine Priöritäten bei-
behielt. Damit werden wir herausgefordert, unsere eigenen Wertmaßstäbe zu
überprüfen und uns hinterfragen zu lassen, wie wir es mit den Prioritäten hal-
ten (vgl. hierzu Apg 4,19; 5,29).
Hiervon ist nicht allein die Beziehung zur Familie betroffen, sondern auch unse-
re Hobbies, Beruf und Karriere, Freundschaften und anderes. Jesus will deut-
lich machen, daß es ihm um mehr geht, als die Einhaltung von Familieninter-
essen (siehe auch Goethe) oder die Erklimmung der Karriereleiter. Unsere
Prioritäten sollten bestimmt sein von den Interessen des Reiches Gottes. Das
kam für in an erster Stelle (Mt 6,33). Daß die dabei für uns entstehenden Konflikte sind
nicht immer einfach zu lösen. Aber ich halte es nicht für das entscheidende, in
allen Dingen perfekt zu sein, sondern ob wir uns immer wieder neu von den
Maßstäben Gottes herausfordern lassen, gerade auch nach Niederlagen.
Daß Trennungen, oder in deren Vorform, Konflikte nicht ohne schmerzhafte
Erfahrungen ablaufen, sollte der Vollständigkeit halber noch erwähnt sein. Aber
wir können nicht das eine ohne das andere haben. Deshalb sind wir in unse-
rem Christsein gefordert, Trennungen auf uns zu nehmen und Prioritäten zu
setzen. Und hier bin ich auch bei meinem dritten Punkt angelangt:
3. Jesus nimmt uns in die Pflicht
Vielleicht sind einige von ihnen etwas verwundert, daß bisher nicht davon ge-
sprochen wurde, was wir tun müssen, um in die Familie Gottes aufgenommen
zu werden. Daß Jesus die um ihn Sitzenden so einfach als “Familienmitglieder”
angesprochen hat. So etwas läuft ja unserem “frommen” Leistungsdenken voll-
kommen entgegen. “Man kann doch nicht ohne daß ...” oder “Ohne Fleiß kein
Preis” und “Ohne (richtige) Bekehrung kein Christ sein”. Dieses denken in
Vorleistungen finden wir bei Jesus nicht. Er sagt nicht zu dem Kranken sündi-
ge (Mk 1,40-45) nicht mehr und dann werde ich dich heilen. Verurteilt die Ehebrecherin
nicht sondern vergibt ihr (Joh 8,2-11).
Jesus begegnet uns nicht im Imperativ, in der Befehlsform. Sagt nicht, um zur
Familie Gottes zu gehören, um Töchter und Söhne des lebendigen Gottes zu
werden, müßt ihr in Vorleistung treten. An dieser Stelle, wie an vielen anderen
im Alten und Neuen Testament wird uns, und vor allem den leistungsorientier-
ten unter uns, der Gegensatz von “damit” und “weil” vor Augen gestellt. Jesus
verlangt keine Vorleistung sondern Konsequenzen!
Es gilt der Grundsatz: nicht “damit ihr Gottes Kinder werdet” tut den Willen
Gottes, sondern: “weil” ihr Gottes Kinder seid, Gott euch liebt und angenom-
men hat, tut seinen Willen.
Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, alle wenn und aber ausloten, ab-
zuwägen und zu verargumentieren. Dies würde uns wohl kaum entscheidend
weiterbringen. Tatsache bleibt: Jesus lädt in Gottes Familie ein und wer sich
einladen läßt und sich dazu bekennt, in dessen Leben zieht das Spuren. Da
wird es plötzlich wichtig, die Prioritäten im Umgang mit den Arbeitskollegen
und in unserer Freizeit anders zu stecken. Da taucht die Frage auf, was in
Gottes Augen richtig und wichtig ist und wie ich das in meinem Alltag, mit mei-
nen bescheidenen Fähigkeiten und Mitteln umsetzen kann. Und glauben sie
mir: auch wenn es ihnen oft stümperhaft und unvollkommen vorkommt, wer
darum bemüht ist, Gottes Willen zu tun, das bleibt nicht verborgen!
Schluß
Ich bin am Ende meiner Predigt, am Ende dessen was ich ihnen mitteilen und
weitergeben will. Vielleicht ist es mir gelungen die ersten Eindrücke die beim
Hören des Predigttextes entstanden sind, zu korrigieren. Bei denjenigen, die
nichts damit anfangen konnten, Interesse zu wecken. Bei den anderen den
Blick zu wecken für die Aussagen, die in diesen Versen stecken. Und so wün-
sche ich ihnen und mir, daß wir uns hineinnehmen lassen in die Familie Got-
tes. Vor möglichen Trennungen nicht zurückschrecken und uns ermutigen las-
sen, aus dieser Gemeinschaft heraus unsere Pflichten angzugehen.
Amen.
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Belchenring 20
D-79219 Staufen
07633/500781
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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