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Predigt über Markus 7,31-37

am 06./07.09.2003
12. Sonntag nach Trinitatis

Ort: Staufen / Münstertal


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Am 13.08.03 kam in der ZDF Sendung "Praxis" folgender Bericht: im Kantonsspital im schweizerischen Glarus wurde eine Wunderheilerin eingestellt. Sie soll Behandlungen an Patienten durchführen, bei denen die sogenannte Schulmedizin nicht weiterkommt um nicht zu sagen versagt hat. Die Arbeit der Heilerin wird wissenschaftlich untersucht und begleitet. Selbst ein Mediziner wurde von ihr mit Erfolg behandelt, nachdem die schulmedizinischen Methoden nicht geholfen hatten. Diese Meldung passt nach meinem dafürhalten so ganz und gar nicht in unsere Zeit. Denn haben uns die modernen Naturwissenschaften nicht längst belegt, dass es keine Wunder gibt, indem sie uns Erklärungen für nahezu jedes Phänomen liefern? Und ist im Zeitalter der Biotechnologie und des Genom-Projektes nicht schon längst der Gedanke der Unsterblichkeit geboren und womöglich greifbar geworden? Was also soll dieser Rückschritt ins Mittelalter und zu "Wunderheilern"?

Als aufgeklärte Menschen wissen wir doch, dass es so etwas nicht gibt. Heute haben wir unsere Ärzte, Therapeuten und Kliniken, die moderne Wissenschaft. Gewiss, das alles steht uns heutzutage zur Verfügung und vielleicht geht es uns deswegen besser als den Menschen die in früheren Tagen auf dieser Erde lebten. Vieles ist erforscht und vieles ist herausgefunden und für vieles auch Abhilfe geschaffen. Aber hat sich deswegen die Welt zum Besseren verändert, ist sie dadurch heiler geworden? Manchmal frage ich mich, ob wir es wirklich besser haben oder ob wir nur ein Loch zuschütten indem wir ein anderes graben oder um es mit einem Bibelwort zu sagen "den Teufel mit dem Beelzebul austreiben".

Hier bin ich am Ausgangspunkt meiner Überlegungen zu dieser Predigt angekommen, den Versen des heutigen Predigttextes und der Begebenheit, die darin erzählt wird:

- Text lesen: Mk 7, 31 - 37 -

Eine Wundergeschichte, genauer eine Heilungsgeschichte - und was machen wir damit? Wir können uns jetzt darüber unterhalten, was uns diese Geschichte sagen will. Welche Bedeutung hat sie für uns Menschen des 21. Jahrhunderts? Ist sie nicht nur ein Bild für etwas anderes, aber auf keinen Fall als wirklich ernst zu nehmen geschweige denn für uns zur Nachahmung empfohlen? In der Vorbereitung zu dieser Predigt bin ich immer wieder auf Auslegungen zu diesen Versen gestoßen, die in diese Richtung gehen: die Krankheit dieses Mannes, seine Taubheit und seine Sprachlosigkeit werden als Bild für unsere eigene Situation gesehen. Auch wir hören oft nicht oder sind sprachlos und verschlossen. Und Jesus ist es, der uns öffnet - sowohl den Mund als auch die Ohren. Die Ohren um auf Gott zu hören und den Mund zu seinem Lob. Und da Jesus sich diesem Mann sehr persönlich zugewandt hat, lässt sich aus diesen Versen auch herauslesen, dass Jesus den einzelnen wahr und ernst nimmt, es IHM auf die Begegnung mit dem einzelnen ankommt. Er hat ihn bei Seite genommen, denn was nun geschah, das war nicht für die Augen und Ohren der Massen bestimmt. Jesus will nicht den Rummel, sieht nicht die Public Relation sondern den Menschen, und das unterscheidet ihn von jenen falschen Propheten die auch Wunder tun und es unterscheidet ihn vermutlich auch von uns, die wir auf solche Sensationen begierig sind. Natürlich passen diese Aussagen und sind sie richtig, daran gibt es nichts zu zweifeln. Aber ist das alles, was diese Verse aussagen? Betrifft mich das in meinem Menschsein so wie es jenen tauben Mann in seiner Existenz berührt und betroffen, und letztlich sein Leben radikal verändert hat? Würden diese Aussagen einem Kranken in seiner Situation helfen und einen Ausweg zeigen?

Im nachdenken über diese Geschichte von dem gehör- und sprachlosen Mann stellten sich mir zunächst zwei Fragen:

  • 1. Die Frage: Was ist ein Wunder?
  • 2. Die Frage: Muss Gott Wunder tun?
  • 1. Die Frage: Was ist ein Wunder?

    Wenn im Neuen Testament von Wundern Jesu die Rede ist, dann wird vielfach ein Wort gebraucht (z.B. Mt 11,20; Mk 9,39 u.a.), das auch in unseren Sprachgebrauch Einzug gefunden hat und uns eine Brücke zur Klärung der Frage sein kann: dynamis - Dynamik. Wenn Gott handelt, ER in das Leben eines Menschen eingreift, dann geht es meist darum, dass ER uns damit in Bewegung setzt, in Bewegung hin zu Jesus. Darauf kommt es IHM an und nicht dass sich etwas außergewöhnliches oder übernatürliches ereignet. Nehmen wir als Bsp. die Heilung jener 10 Aussätzigen, von denen nur einer umkehrt um sich bei Jesus zu bedanken (Lk 17,12) - 10 Menschen erfahren Heilung, erleben ein Wunder das ihr Leben verwandelt hat, aber nur bei einem vollzieht sich ein Lebenswandel. Aber genau das ist es, worauf es Jesus ankommt, deshalb wird jener Aussätzige nicht nur gesund, sondern gerettet. Diese Geschichte der zehn Aussätzigen scheint mir ein zentraler Schlüssel im Blick auf das Verständnis der Frage nach Wundern zu sein.

    Für den biblisch denkenden Mensch ist ein Wunder jedes Ereignis, in dem ich Gottes helfendes Eingreifen erkenne. Ob hierbei die Naturgesetze durchbrochen oder eingehalten werden, spielt keine Rolle. Wunder, als helfendes, zurechtbringendes Eingreifen Gottes, sind zunächst in ihrer Wirkung offen, damit meine ich, daß ich Gott nicht auf ein bestimmtes Ergebnis seines Handelns festnageln kann. Das zu Recht bringen, heil machen eines Menschen hat immer zuerst die Beziehung zu Gott im Blick. So verstanden, kann jemand durchaus weiter an einem Gebrechen leiden und dennoch heil werden und heil sein. Dies ist auch der Unterschied zu den falschen Propheten vor denen Jesus eindringlich warnt. Diese vollbringen zwar übernatürliche Wunder und schaffen damit möglicherweise Besserung, dies aber mit dem einzigen Ziel, den Menschen zu verführen, ihn von Gott wegzubringen (z.B. Mt 24,24; Mk 13,22).

    Somit geht es bei Wundern nicht in erster Linie darum, daß die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder umgangen werden. Wesentlich dabei ist, dass der Mensch, sie und ich, Gottes heilbringendes Handeln erkennt und sich darauf einläßt. So gesehen sind Wunder immer etwas subjektives: ich erkenne darin ein Handeln Gottes, ein anderer muss das nicht zwingend. Wunder sind Machtaten Gottes die allein das Heil, die Rettung und Umkehr des Menschen zum Ziel haben. Wenn erkannt wird, dass Gott in der einen oder anderen Lebenssituation helfend eingegriffen hat, kommt das größte Wunder zum Ausdruck: der Glaube an den lebendigen Sohn Gottes (aus Predigt über Mk 8,22 vom 01.09.01).

    2. Die Frage: Muss Gott Wunder tun?

    Aus dem bisher gesagten ergibt sich für mich zweierlei: Zum einen, Jesus ist nicht in erster Linie deswegen auf diese Welt gekommen, um alle Kranken zu heilen! Seine Heilungen haben wohl unstrittig "zeichenhaften" Charakter, damals wie heute. Nehmen wir als Beispiel Joh 5,1ff: nicht allen am Teich liegenden Kranken wendet sich Jesus zu, sondern nur jenem einen Lahmen. Mit seinen Wundern - Machttaten - setzt er Zeichen des angebrochenen Gottesreiches und seiner Herrschaft. Jesus hat zwar jede Krankheit und jedes Gebrechen (Mt 4,23), aber nicht jeden Kranken geheilt! Zwei weitere biblisch dokumentierte Beispiele möchte ich anführen: Paulus (2.Kor 12,7) und Timotheus (1.Tim 5,23). Und darüber hinaus ist die Kirchengeschichte voll mit Beispielen, dass gerade "Vorbilder im Glauben" mit Leiden zu kämpfen hatten.

    Ich betone: Es geht mir jetzt nicht darum, eine Ausrede zu finden, warum bei uns keine Wunder mehr geschehen. Denn in anderen Ländern, so berichten Missionare, gehören Wunder weit selbstverständlicher zum Gemeindeleben dazu. Gewiss, Wunder im Sinne von übernatürlichen Ereignissen (z.B. Heilungen) sind nicht machbar oder erzwingbar und gehören auch nicht zur Tagesordnung - dann wären es keine Wunder mehr. Trotzdem sollten wir sie nicht vorschnell aus unserem Lebens- und Erfahrungshorizont ausklammern.

    Zum anderen möchte ich auf keinen Fall die Bedürfnisse und Wünsche notleidender Menschen bei Seite schieben, die die Hoffnung haben, dass Gott helfend und vor allem heilend in ihr Leben eingreift. Und ich rede denen nicht das Wort, die dieses Thema einfach ganz außen vor lassen. Die Gefahr liegt jedoch darin, sich zu versteifen! Wir wollen Gott auf ein bestimmtes Ergebnis seines Handelns festlegen, Gott so handeln muss wie ich es mir vorstelle. Das Problem dabei ist nicht nur, dass wir Gott nicht zwingen können und dass sein Handeln an meiner Person festgemacht wird. Er muss doch handeln weil ... Wenn er also nicht handelt, dann liegt es an mir, weil ich nicht genügend ... Diese Schlussfolgerung ist ebenso fatal wie falsch! (vgl. Joh 9,1ff). Gott muss nicht handeln aber er will und er will uns mit hineinnehmen in sein Wirken.

    Ein Knackpunkt dabei ist, dass unsere Lebensumstände als Christen andere sind als die der Jünger vor 2000 Jahren. Denn wir können Jesus nicht mehr fragen, warum hast du jenen einen Lahmen am Teich Bethesda geheilt und die vielen anderen nicht (Joh 5,1-16)? Wir bleiben oft mit unseren Fragen zurück, wir können nicht mehr zu Jesus hingehen, mit ihm reden, ihm direkt unsere Anliegen sagen und flehentlich vor ihm niederfallen - aber heißt das automatisch, dass Gott deswegen keine Wunder mehr tut? Dass die Wunder seltener geworden sind, liegt das nur daran weil die Welt erforschter und organisierter geworden ist? Ich habe eine andere Ursache ausgemacht: Kann es auch an unserem Unglauben liegen, dass wir Gott gar nicht mehr zutrauen, dass er Wunder tut? (Mt 13,58!)

    Und so rückt mir diese Erzählung von dem behinderten Mann wieder ins Bewusstsein, dass auch Wunder, Machterweise Gottes zu unserem, zu ihrem und meinem Glaubensleben und unserer Nachfolge gehören! Und somit ist es für mich

    3. Keine Frage: Gott kann!

    Bisher sind wir dem Ganzen mehr oder weniger theoretisch nachgegangen. Aber da möchte ich nicht stehen bleiben, denn bei dem hier gesagten geht es vor allem auch um ganz praktische Dinge. Diese Geschichte von jenem gehörlosen und sprachlosen Mann fordert mich einmal mehr heraus darüber nachzudenken, wie es mit unserem, mit ihrem und meinem Vertrauen zu Jesus aussieht? Traue ich IHM zu, dass er auch heute noch so handelt, an mir und an anderen? Erwarte ich von Jesus noch Wunder, Machterweise seiner Herrschaft und Gegenwart?

    Einen Grund für dieses mangelnde Vertrauen habe ich bei mir ausgemacht: ich habe Angst, enttäuscht zu werden. Was, wenn Gott das Wunder nicht tut? ER lässt sich ja nicht in die Karten blicken und er läßt sich nicht zwingen! Und die Flucht in die scheinbar demütige Bitte "nicht mein sondern dein Wille geschehe" halte ich für unangemessen. Denn Jesus, als er diese im Garten Gethsemane vor seiner Gefangennahme formulierte, wusste was der Wille des Vaters war und er wusste was dieser wollte und was auf ihn zukommen wird. Letztlich geht es darum, das eigene Leben, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse loszulassen und sich vertrauensvoll in Gottes Hand fallen zu lassen. ER wird es gut mit mir machen, auch wenn es anders kommt, wie ich es mir vorstelle. Gewiss ist dies leichter gesagt als getan, aber gerade deswegen möchte ich es mir immer wieder sagen!

    Aufgefallen ist mir auch, dass Jesus nie rumgedruckst hat: "hefata - tu dich auf!" oder an anderer Stelle: "steh auf und nimm dein Bett" oder "fahre aus!". Da wird nicht herumgesülzt sondern Jesus weiß um seine Vollmacht gegenüber Krankheiten und Dämonen. Und auch uns ist solche Vollmacht übertragen - Aussendung der Jünger (Mt 10,8), Missionsbefehl (Mk 16,18) oder Wirken der Jünger, z.B. Petrus in Apg 3,6. Gerade letzter Bericht macht eines deutlich: Petrus hatte dieses Vertrauen zu Jesus - er hat sich nicht zuerst Gedanken darüber gemacht, ob denn Jesus und wenn nein was dann ... "Was ich habe gebe ich dir: steh auf!" Gewiss, werden jetzt vielleicht einige sagen, aber was hatte Petrus nicht alles mit Jesus erlebt. Richtig, sage ich, aber haben wir nicht auch schon so manches mit Jesus erlebt? Das müssen nicht immer Totenauferweckungen sein, aber Machterweise Gottes allenthalben! -(> Beispiel: Absturz Silvia; Geldsorgen INTEG; immer wieder positive Rückmeldungen auf Predigten; Menschen sind zum Glauben gekommen und auch heute noch dabei sind.)

    Ich halte es für wichtig, dass wir unsere Bitten und Anliegen klar formulieren weil uns dies dazu zwingt, diese vorher zu durchdenken und zu durchbeten. Letztlich ist die konkrete Bitte das Ergebnis eines Prozesses, einer Entwicklung der Auseinandersetzung mit meinem Anliegen. Dabei geht es um ein hinhören und herausfinden was "dran ist". Das ist gewiss nicht immer und vermutlich auch grundsätzlich nicht so einfach. Aber auch hier möchte ich mich auf Jesus verlassen und auf das vertrauen, was uns verheißen ist: uns wird Weisheit gegeben werden (Jak 1,5) und Gottes Geist wird uns dabei unterstützen, dann wenn wir nicht mehr wissen was und wie wir beten sollen (Rö 8,15).

    Und wenn mir das Vertrauen fehlt für ein eigenes Anliegen zu bitten, dann lehrt mich diese Geschichte dass es legitim ist, dass dann getrost andere für mich einspringen dürfen. Wie diejenigen, die den Taubstummen zu Jesus geführt haben, oder diejenigen die das Dach abgedeckt haben und jenen Lahmen zu Jesus hinabgelassen haben. Für den anderen glauben und vertrauen wo er selbst nicht mehr glauben kann auf dass er wieder vertrauen kann (bedenke Jak 5,14 oder z.B. Kol 4,3; 1.Thes 5,25; Jak 5,16 u.a.).

    An dieser Stelle möchte ich noch auf einen Gedanken hinweisen, den ich bei Oswald Chambers gefunden habe (in: Mein Äussertes für sein Höchstes; S. 241): "Es ist weit weniger der Fall, dass das Gebet die Dinge verwandelt, als das es mich verwandelt und ich dann die Dinge verwandle." Chambers drückt hier etwas aus, was zunächst wie eine Ausrede klingt, das aber bei genauerem hinsehen durchaus zutrifft. Denn vielfach ist es ja so, dass wir sehr fixiert sind und zu wissen meinen, wie Dinge und Situationen sein sollten, was uns zum Besten dient. Aber es kommt entscheidend darauf an, dass wir lernen, die Dinge und unser Leben mit den Augen Gottes zu sehen und zu bewerten, den Tiefenblick Gottes zu bekommen (bedenke Jahreslosung). So besteht das Wunder dann darin, dass sich plötzlich meine Lebensumstände verändern oder klären, ich aus meiner Fixiertheit befreit werde, weil ich sie mit anderen Augen sehen und bewerten kann - manchmal auch erst nach Jahren.

    Schluss

    Mir hat diese Erzählung Mut gemacht, getrost und vertrauensvoll mit meinen Anliegen zu Jesus zu gehen, sie ihm zu Gehör zu bringen. Ihn beim Wort zu nehmen dass er unsere Bitten erfüllen will (Lk 18,1ff) und Wunder - Machttaten - vollbringt, nicht weil er muss, sondern weil er kann, auch heute noch, auch in meinem und in ihrem Leben!

    Amen.

    - Es gilt das gesprochene Wort! -

    Diese Predigt wurde verfasst von:
    Karl-Heinz Rudishauser
    Altenheimstraße 23
    89522 Heidenheim/Brenz
    07321/910915
    eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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