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Predigt über Matthäus 9, 9-13

am 11.02.2001
Septuagesimae

Ort: Staufen und Münstertal


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Jeden Tag lesen und hören wir unendlich viel, wir werden förmlich mit Nachrichten und Informationen "zugemüllt", wie es so schön und in gewisser Weise auch zutreffend, auf Neu-Deutsch heißt. Vieles was wir tagtäglich in Zeitungen und anderen Medien geboten bekommen läßt uns kalt, berührt uns kaum. Da sehen wir in den Tagesthemen die Berichte von dem Erdbeben in Indien mit annähernd 100.000 Toten (!!), vielleicht stocken wir einen Augenblick, aber dann wenden wir uns wieder der nächsten Unterhaltungssendung oder Krimi zu. Und glauben sie ja nicht, ich kann mich hier ausnehmen! Wir sind abgestumpft und abgehärtet, so schnell kann uns nichts mehr erschüttern. Die Flut und vor allem die Anonymität der Bilder stumpft uns ab.

Dann gibt es aber auch noch die andere Situation, ich gebe zu, sie ist sicherlich nicht so häufig anzutreffen wie das tagtägliche, aber es gibt sie noch. Die Geschichten die mir nahe gehen, mich nicht unberührt und einfach zur Tagesordnung übergehen lassen. Das ist meist dann der Fall, wenn ich in irgendeiner Weise persönlich davon betroffen bin oder wenn es sich um "Einzelschicksale" handelt, die etwas genauer erzählt werden. Vor kurzem war das der Fall als, schon spät abends eine Reportage über den Sänger Thomas Quasthoff gezeigt wurde. Sie kennen Thomas Quasthoff nicht? Dann geht es ihnen so wie mir: ich wußte mit dem Namen auch nichts anzufangen bis eben zu jener Reportage. Thomas Quasthoff ist Sänger (Bareton) und einer jener Menschen, die unter den Folgen des Schlafmittels Contergan zu leiden haben. Die Geschichte dieses Mannes hat mich tief berührt und bewegt.

Aber nicht nur in den Medien finde ich solche Geschichten, die mich berühren. Auch in der Bibel stoße ich immer wieder auf Geschichten, Lebensschicksale die mich bewegen, an denen ich nicht einfach vorübergehen kann. Ich muß inne halten, genauer hinschauen und darüber nachdenken. Eine dieser Geschichten wird im heutigen Predigttext erzählt:

- Text lesen: Mt 9, 9 - 13 -

Eigentlich geht ja alles kurz und schmerzlos über die Bühne: Jesus ist unterwegs, besser gesagt fast schon auf der Flucht vor der Volksmenge und kommt an einem Zollhäuschen vorbei. Darin sitzt ein Zöllner, wir erfahren sogar seinen Namen - Matthäus -. Den sieht Jesus und fordert ihn auf, ihm nachzufolgen. Und was tut der Mann: Er steht auf und folgt Jesus nach! Läßt sie das unberührt? Mich nicht!

Ich möchte mit Ihnen über diese Geschichte nachdenken, über die Begegnungen die darin stattfinden und das, was wir aus ihr lernen sollen.

  • Die Begegnung Jesus mit dem Zöllner
  • Die Begegnung Jesus mit den Pharisäern
  • Was wir lernen sollen: Barmherzigkeit?

1. Jesus und die Zöllner

In früheren Tagen wohnten die verheirateten deutschen Studenten des Predigerseminars von St. Chrischona meistens in Grenznähe auf der deutschen Seite. In einem Jahrgang hatten sich diese zusammengetan und, um Fahrtkosten zu sparen, gemeinsam einen alten VW-Bus gekauft. Mit diesem fuhren sie dann jeden Morgen über die Grenze zum Seminar und am Abend wieder zurück. Vorne auf der Kühlerhaube prangte ein Schild "Jesus liebt Zöllner und Sünder!"

Wie die Zöllner darauf reagiert haben weiß ich. Vielleicht gab es anregende Gespräche, vielleicht auch Unverständnis weil sie gar nicht so recht wußten, was damit gemeint war. Der Beruf des Zöllners hat heute ja nichts anrüchiges mehr an sich und warum man sie mit Sündern in einen Topf wirft, können wir heute auch kaum mehr nachvollziehen. Zu Zeiten Jesu war das jedoch anders.

Was waren das für Menschen und warum wurden sie von ihren Zeitgenossen ausgegrenzt? Ein Zöllner hatte eine Zollstation gepachtet und war damit berechtigt, im Namen und im Auftrag des römischen Kaisers Zölle zu erheben. Von den Zolleinnahmen mußten sie die Pacht an den Kaiser abführen, den Rest durften sie behalten. Daß es dabei nicht immer mit rechten Dingen zu ging, sprich die eine oder andere Mark nicht in den "Staatssäckel" sondern in die eigene Kasse floß war sicher nicht korrekt und daher verwerflich, aber das war nicht der alleinige Grund für ihren schlechten Ruf. Entscheidender war, daß sie Angestellte des römischen Kaisers und daher verpflichtet waren, diesem zu huldigen, in diesem Fall sich bei Dienstantritt vor der kaiserlichen Standarte zu verneigen. Für einen Juden ein unvorstellbarer Akt, eine Gotteslästerung ersten Ranges und durch nichts zu entschuldigen.

So ein Zöllner war dieser Matthäus. Und jetzt stelle ich mir vor, wie er so manchen Tag in seinem Zollhäuschen zubrachte und manch düsteren Blick und manch Verwünschung über sich ergehen lassen mußte. Und ich kann mir auch vorstellen, wie er trotz seines materiellen Reichtums doch arm war und sich nach der Geborgenheit der religiösen Gemeinschaft zurücksehnte. Und mit dem verstoßen sein aus der religiösen Gemeinschaft war auch klar, daß seine Beziehung zu Gott ab- und unterbrochen war. Er hatte sein Anrecht auf das Reich Gottes verspielt. Aber es gab scheinbar kein entrinnen aus dieser Situation, es sei denn: jemand holt ihn heraus aus diesem Zollhäuschen, denn alleine schafft er das nicht.

Und da steht plötzlich Jesus vor ihm, schaut ihn nicht nur aus den Augenwinkeln verächtlich und feindselig an sondern blickt im offen und freundlich in die Augen. Vielleicht hat Matthäus gewußt, wer dieser Mann war, vielleicht hat er gehört, von den vielen Reisenden den ein oder anderen Gesprächsfetzen aufgeschnappt, wer dieser Jesus ist. Und vielleicht hat er sich gewünscht, diesem Mann zu begegnen. Gehofft daß ER ihn aus seinem "Gefägnis" befreit. Und nun steht er plötzlich vor ihm! Kaum zu fassen - und die Ereignisse überschlagen sich als Matthäus diesen Satz, diese drei Worte hört: "Folge mir nach!" Da überlegt Matthäus nicht lange, er erkennt, jetzt ist die Chance, mein Leben zu ändern, mehr noch, hier finde ich Rettung für mein Leben, er steht auf und folgt Jesus nach. Wenn dieser Ruf ergeht, dann können wir nicht teilnahmslos bleiben und so tun, als ginge uns das ganze nichts an. Ich kann nicht Sonntag für Sonntag den Gottesdienst besuchen und Gottes Wort hören und keine Konsequenzen ziehen. Und die er ste ist, sich an Jesus hängen. Matthäus verläßt sein Zollhäuschen, er gibt seine sichere Existenz auf und hängt sich an Jesus, äußerlich und innerlich. Damit war der erste Schritt getan, viele weitere sollten folgen bis dahin, als er dieses Evangelium geschrieben hat.

2. Jesus und die Pharisäer

Dieses Verhalten Jesu blieb natürlich nicht unbeobachtet und hat für erheblich Aufregung gesorgt. "Warum ißt euer Lehrer mit Zöllnern und Sündern?" Vor dem zuvor gesagten halte ich fest, daß dieser Vorwurf durchaus berechtigt war! Es gehörte sich nicht, mit Sündern an einen Tisch zu sitzen, sie quasi dadurch zu Freunden zu erklären, denn man machte sich damit unrein.

Jesus fängt jetzt nicht an sein Verhalten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Warum auch, sie haben ja recht. Er trifft in dieser Situation nur eine Feststellung, wie sie klarer und Einleuchtender nicht sein kann: nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Dieser Aussage kann sich keiner entziehen, weder die Pharisäer damals noch wir heute. Das nun folgende Zitat aus dem Propheten Hosea führt Jesus nicht in erster Linie deswegen an, um nun seinerseits die Pharisäern anzuklagen oder ihnen ihr Fehlverhalten vor Augen zu führen. Das wären vermutlich unsere Motive, aber Jesus verhält sich nicht so, weder hier noch an anderer Stelle. Jesus rechnet weder auf noch ab, weder bei dem Zöllner, noch bei jener Frau am Jakobsbrunnen und auch nicht mit den Phariäern! Jesus will ihnen mit diesem Zitat ihre eigene Bedürftigkeit aufzeigen, daß auch sie auf die Hilfe des Arztes angewiesen sind. Sie sollen erkennen, daß auch in ihrem Leben nicht alles so ist, daß sie IHN nicht bräuchten.

Was aber heißt es bedürftig zu sein, wer braucht einen Arzt? Bei dieser Frage ist mir aufgefallen, daß Jesus nie sagt, das hast du falsch gemacht oder hier hast du Sünde begangen. Das ist ja ein sehr sensibler Bereich. Und nicht umsonst warnt er davor, im Auge des Bruders den Splitter zu suchen und dabei den Balken im eigenen Auge zu übersehen (Mt 7, 1ff). Wenn Jesus von Sünde redet, dann geht es ihm darum zu zeigen, daß ich von Gott getrennt bin und daß es darum gehen muß, diese Trennung wieder aufzuheben, mit Gott wieder ins Reine zu kommen. Und genau dazu ist ER in diese Welt gekommen! Jesus geht es nicht darum im Leben anderer herumzupopeln, so wie wir das gerne machen, es geht IHM auch nicht darum, jemandem seine Bedürftigkeit einzureden. In der Begegnung Jesu wird diese offenbar, da bedarf es nicht vieler Worte. So war es bei Matthäus: Er hat seine Situation erkannt, daß er den "Arzt" braucht damit sein Leben wieder in Ordnung kommt und, und das ist das entscheidende, er wollte daß dies auch geschieht, er wollte wieder gesund werden!

In der Begegnung mit den Pharisäern geht es Jesus darum, daß auch sie sich ihre Bedürftigkeit eingestehen und sich nicht hinter die Mauern von Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit zurückziehen. Jesus will auch ihnen und uns zum Arzt werden und sie und uns gesund machen. Es hängt allein davon ab, ob sie und wir das wollen.

Von zwei Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen wird in diesem Bibelabschnitt berichtet. So unterschiedlich die Menschen und die Begegnungen waren, eines ist in gemeinsam:

3. Was wir lernen sollen: Barmherzigkeit

Die Aufforderung "geht hin und lernt was das ist" ergeht in dieser Geschichte sicherlich zunächst an die Pharisäer. Und wenn wir heute meinen, sie gelte doch nur den Pharisäern und nicht uns, dann beweist das nur, daß wir ebenso selbstgerecht und selbstgefällig sind und wir uns erst recht fragen sollten, was damit gemeint ist: "Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer!". Was bedeutet überhaupt "Barmherzigkeit"? Um was geht es dabei?

Geht es ums verwischen nach dem Motto "Heile heile Gänschen...", geht es ums schön reden "...ist doch nicht so schlimm ..."? Was steckt hinter Barmherzigkeit? Barmherzigkeit hat einen unmittelbarem Bezug zum menschlichen Elend als Folge der Sünde. Und dieses Elend, diese Folgen sollen überwunden werden. Am Beispiel Jesu heißt das "Grenzen überschreiten" um einem anderen ein Leben in der Gemeinschaft mit Gott zu eröffnen, Schuld vergeben und Erlösung erfahren wird. Jesus durchbricht die Mauer die diesen Zöllner umgeben hat und eröffnet ihm dieses neue Leben in der Gemeinschaft Gottes. Jesus redet nicht gut, was er getan hat, aber er redet ihm auch kein schlechtes Gewissen ein. Jesus ruft ihn heraus aus seinem Zollhäuschen und hinein in ein neues Leben.

Dabei verlangt er nichts von ihm. Auch von jenem Hauptmann in Kapernaum verlangt er nicht, daß er seinen Speer in die Ecke stellen und Pazifist werden sollte. Jesus stellt keinen Buß- und keinen Ablaßkatalog auf. Er stellt weder bloß noch rührt er in alten Wunden. Jesus will uns heil machen, sie und mich wieder zu recht bringen, ER durchbricht die Grenzen und Mauern zwischen uns und Gott. Ihm waren und sind die Menschen nicht gleichgültig. Und auch wir sind sicherlich gehalten, daß uns das Ergehen des Nächsten nicht gleichgültig zu sein hat, aber das heißt nicht, an ihm herumzumäkeln sondern ihn auf Jesus zu verweisen. Denn "wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein" auf dem "mach's besser" steht.

Um Barmherzigkeit üben und leben zu können muß ich darauf vertrauen, daß Gott wirkt. Daß Gott mit einem Menschen zu seinem Ziel kommt und ihn zu recht bringt und darauf, daß jeder erkennt, wo und was er anders machen muß. Barmherzigkeit drängt nicht sondern lädt ein. Und Barmherzigkeit gibt auch dann die Hoffnung nicht auf.

Schluß

Jesus ist in diese Welt und zu denen gekommen, die um ihre Bedürftigkeit wissen und die die Hilfe des Arztes in Anspruch nehmen wollen. Er wendet sich denen zu, die gesund, die Heil, im ganzheitlichen Sinn dieses Wortes, werden wollen. Jesus hat die Grenzen überschritten und geht auf uns Menschen, auf sie und mich zu.

Auch uns ruft er heute morgen heraus aus unseren Zollhäuschen hinein in seine Nachfolge. Wir können unsere Bedürftigkeit erkennen und uns Jesus anvertrauen, ihm nachfolgen, ER wird uns geben was wir brauchen.

Und als solche Herausgerufene können wir Barmherzigkeit lernen, können auch wir Grenzen überschreiten und andere Bedürftige auf den weisen, der als Arzt und Heiland in diese Welt gekommen ist.

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Belchenring 20
D-79219 Staufen
07633/500781
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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