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Predigt über Römer 3,21-31

am 31.10.2004
21. Sonntag nach Trinitatis / Reformationsfest

Ort: Brenz / Bergenweiler


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!

Einleitung

Es gibt Ereignisse die geraten einfach in Vergessenheit, auch wenn sie es durchaus Wert wären, dass man sich ihrer erinnert. Aber es gibt auch Ereignisse, die überdauern Jahre, Jahrzehnte ja sogar Jahrhunderte. Und manche prägen das Bild dieser Welt und der Menschen bis auf den heutigen Tag.

Am heutigen Sonntag gedenken wir eines solchen Ereignisses das vor fast 500 Jahren stattgefunden hat. Damals hatte der junge Augustinermönch Martin Luther seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosstüre genagelt (31.10.1517) - so zumindest die traditionelle Version. Er wollte damit bei weitem keine Spaltung der

Kirche herbeiführen sondern lediglich einen Diskussions- und Reformprozess anstoßen. Dass es dann ganz anders gekommen ist, lag nicht in seiner ursprünglichen Absicht.

Seine Thesen sind aus einem persönlichen Prozess, durchaus auch Leidensprozess heraus entstanden in dem es bei Martin Luther um die Frage nach dem gnädigen Gott ging. Er litt an seiner Unzulänglichkeit und wusste keinen Weg wie er seiner eigenen Sündhaftigkeit begegnen konnte. Denn wenn es darum ging, vor Gott durch die eigene Lebensleistung und -führung gerecht zu werden, dann war er auf verlorenem Posten. Dann gab es keine Möglichkeit vor diesem gerechten Gott Gnade zu finden und in seinem Gericht zu bestehen.

Mit diesen Gedanken stand Martin Luther nicht alleine da sondern spiegelte das Erleben seiner Zeitgenossen wieder. Und auch die damalige Kirche versuchte darauf zu reagieren. Es musste doch eine Möglichkeit geben, den Gläubigen schon zu Lebzeiten eine Art "Seelenfrieden" zu verschaffen. Denn was sollte man mit einer Kirche, die einem keinen Ausweg aus der Verdammnis anbieten konnte? Und so wurde die Idee des Ablasshandels geboren, gewiss nicht nur aus theologischen und geistlichen Gründen. Da standen teilweise auch ganz handfeste monetäre Interessen dahinter.

Aber all das, was damals angeboten wurde, konnte diesen Mönch nicht zufrieden stellen. Der Durchbruch geschah an anderer Stelle und ging als das sogenannte Turmerlebnis nicht nur in die Theologiegeschichte ein. In Studien über den Römerbrief erkannte Luther, dass Gott ein gnädiger Gott ist. "Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: »Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.« (Röm 1,17)"

Gerechtigkeit, das war Luther's Thema zu jener Zeit, es ist auch immer wieder Thema in unseren Tagen und es ist Thema der heutigen Predigt. Denn aus dem Buch, bei dessen Studium es bei Martin Luther zum entscheidenden Durchbruch und Lebensveränderung kam, stammen auch die Verse des heutigen Predigttextes.

- Text lesen: Römer 3, 21-31 -

Gerechtigkeit - das ist das Thema in diesen Versen und es ist auch Thema in unseren Tagen. Die Fragen die dabei auftauchen sind: Was hat es auf sich mit der Gerechtigkeit? Was ist eigentlich gerecht und wie sieht das aus mit Gottes Gerechtigkeit? Und schließlich geht es auch um die Frage, wie erlange ich Gottes Gerechtigkeit.

1. Was heißt eigentlich gerecht?

Dazu folgende Geschichte. Einer meiner früheren Dozenten hat einmal, als wir nach einer Klausur mit ihm darüber diskutiert haben, ob die Fragestellungen und der Aufbau der Klaus gerecht wäre, folgende Geschichte erzählt: Er wohnte in einer ländlichen Gegend und musste jeden Tag einige Kilometer über Land in sein Büro fahren. Da er einen schnellen Wagen fuhr, liebte er freie Straßen und es gab nichts ärgerliches für ihn, wie wenn er hinter einem langsam fahrenden Auto bleiben musste. Eines Morgens war es mal wieder so. Auf der Strecke gab es nur eine Stelle an der überholt werden konnte. Als er zu dieser Stelle kam, setzte er zum überholen an und das andere Fahrzeug gab auch Gas. Als beide Fahrzeuge auf gleicher Höhe waren wurden sie geblitzt und einige hundert Meter später von der Polizei angehalten. Beide Fahrer mussten die Führerscheine abgeben. Nach einer Weile kam ein Polizist zurück, gab ihm seinen Führerschein wieder und ließ ihn weiterfahren. Was war geschehen? Die Radarfalle war so aufgebaut gewesen, dass nur die rechte Spur fotografiert wurde. Somit war sein Auto nicht auf dem Bild und so fehlte der Beweis, dass auch er zu schnell gefahren war. War das gerecht? Was wäre gerecht gewesen? Beide wieder fahren lassen?

Diese Geschichte zeigt mir, dass unsere Vorstellung von Gerechtigkeit sehr stark von Eigennutzen geprägt ist. Gerecht empfinden wir vielfach all das, was mir dient oder nützt. Wenn ich weniger habe als ein anderer dann empfinde ich es als gerecht, wenn auch ich mehr bekomme. Hier kommen wir schnell in den Bereich von Gleichmacherei und das ist nicht Gerechtigkeit.

Unsere Vorstellungen zum Thema Gerechtigkeit sind geprägt von einer absoluten Gerechtigkeit. Es muss doch möglich sein, für alle Menschen auf dieser Welt gerechte Verhältnisse herzustellen. Ich werde ihnen wahrscheinlich nichts neues sagen wenn ich darauf hinweise, dass wir von diesem Ziel weit entfernt sind. In vielem kommt mir die Menschheit in ihrem Streben nach Gerechtigkeit so vor, als schütte sie ein Loch zu indem sie ein anderes gräbt. Man schafft an einer Stelle Recht und an anderer tut sich in diesem Zusammenhang eine neue Ungerechtigkeit auf. Eine absolute Gerechtigkeit gibt es nach meinem dafürhalten nicht. Im Grunde orientieren sich unsere Gerechtigkeitsvorstellungen immer an Verhältnismäßigkeiten. Und selbst an den Orten, die eigentlich für die "absolute" Gerechtigkeit vorgesehen sind, den Gerichten, gibt es diese nicht, zumindest nicht zu hundert Prozent.

Denn selbst dieser Instanz unserer Gesellschaft, die sich von Haus aus mit Gerechtigkeit und Recht auseinandersetzt, ist es nur sehr begrenzt möglich, Gerechtigkeit herzustellen. Wenn in der Juristerei von Gerechtigkeit gesprochen wird, dann meist im Blick auf eine formale Gerechtigkeit, d.h. dass jedem die Möglichkeit eingeräumt wird, sich vor den Gerichten recht zu verschaffen. Aber selbst hier werden wir merken, wenn wir nur etwas weiter darüber nachdenken, dass dies eigentlich nur in der Theorie so ist und die Praxis vielfach ganz anders aussieht.

Ich gebe zu bedenken, dass Gerechtigkeit ist in dieser Welt nicht vorgesehen. Zunächst einmal gilt das Recht des Stärkeren. Aber trotzdem oder gerade deswegen gehört zu unserem Menschsein dazu, dass wir uns um Gerechtigkeit mühen und in diesem Streben kommt ein Stück "Gottesebenbildlichkeit" zum Ausdruck. Dieses Bemühen zeichnet uns aus und ehrt uns, aber gelingen tut uns dies nur sehr begrenzt.

Auch im religiösen Bereich spielt Gerechtigkeit eine Rolle. Hier stellt sich uns die Frage, wie muss ich mich verhalten um Gott recht zu sein? Was erwartet Gott von mir und was muss ich tun, um diese Erwartungen zu erfüllen? Hier sind wir wieder ganz nah bei Martin Luther. Und wie jener junge Mönch machen auch wir die Erfahrung, dass es uns nicht gelingt - jedenfalls nicht auf Dauer. Wir fallen immer wieder zurück in alte Verhaltensmuster.

Was bleibt von unserer menschlichen Gerechtigkeit? Ich frage einmal anders herum: Was wäre, wenn es dieses Streben nach Gerechtigkeit nicht gäbe? Von Heinrich Böll stammt die Aussage: "Ich empfehle es der Nachdenklichkeit und Vorstellungskraft der Zeitgenossen, sich eine Welt vorzustellen, auf der es Christus nicht gegeben hätte."

2. Gottes Gerechtigkeit

"Gott ist nicht gerecht - Gott macht gerecht!" Diese Aussage, so provozierend sie klingt, entspricht der Wahrheit, gemessen an unseren menschlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Oder haben sie sich noch nie daran gestoßen, wenn sie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1ff) gelesen oder gehört haben? Empfinden sie es nicht als ungerecht, wenn da Menschen den ganzen Tag arbeiten und am Schluss bekommen sie denselben Lohn wie diejenigen, die gerade einmal eine Stunde gearbeitet haben? Dass widerspricht doch vollkommen unseren heutigen Vorstellungen und Übereinkommen nach gerechter Entlohnung. Gott muss doch jedem geben, was er verdient hat - oder?

In dieser Forderung spiegelt sich unsere Vorstellung von Gerechtigkeit wieder. Aber was hat denn jeder verdient? Woran machen wir das fest? Und was ist mit denen, die sich nichts verdienen können weil sie gar nicht in der Lage dazu sind - behinderte Menschen zum Beispiel? Und was wäre, wenn Gott uns tatsächlich das geben würde was wir verdient hätten? Martin Luther hat bei dieser Frage erkannt, dass dann alles umsonst wäre. Aber genau das ist der Weg, den Gott für uns bereit hält. Ich bin froh, dass Gottes Gerechtigkeit anders aussieht als unsere menschliche. In seiner Gerechtigkeit gibt Gott uns nicht das, was wir verdient hätten, sondern er beschenkt uns, die Sünder, aus freien Stücken weil er uns, sie und mich liebt! Er schenkt uns seine Gnade - umsonst!

Wenn wir von Gottes Gerechtigkeit reden dann geht es um das gerecht werden, nicht darum, dass ich mich durch gerechtes Handeln recht mache - Gott bringt mich zu-Recht. In der Bergpredigt finden sich drei zentrale Aussagen dazu: In Mt 5,6 stellt Jesus fest, dass wir Menschen einen Hunger nach Gerechtigkeit haben und uns wünschen, dass dieser gestillt wird. Und Jesus sagt uns zu, dass dieser Hunger gestillt werden wird. In Mt 5,20 macht Jesus deutlich, dass Gottes Gerechtigkeit von anderer Qualität ist als das, was bis dahin als gerecht angesehen wurde. Und schließlich fordert Jesus uns in seiner Aussage in Mt 6,33 auf, immer wieder nach dieser Gerechtigkeit zu streben.

Was sich in diesen und anderen Aussagen Jesu andeutet wird später insbesondere von Paulus deutlich formuliert und wird gerade im Römerbrief und den Versen des heutigen Predigttextes aufgegriffen: Gottes Gerechtigkeit ist an Jesus gebunden, es gibt bei Gott keine Gerechtigkeit ohne Jesus (V. 26)! ER hat das so festgelegt und sich zu diesem Weg entschieden, so wie wir das im Lied vor der Predigt gesungen haben: "Da jammert Gott in Ewigkeit, mein Elend übermaßen; er dacht an sein Barmherzigkeit er wollt mir helfen lassen; er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz, er ließ's sein Bestes kosten." (EG 341, 4).

An dieser Stelle möchte ich noch einen Gedanken aufgreifen: Wir können nicht von Gerechtigkeit sprechen und dabei das Thema Werke übergehen. Ich streite nicht ab, dass an einigen Stellen des Neuen Testaments auch davon geredet wird, dass Nachfolger Jesus Werke tun müssen. Das Problem dabei ist das Verständnis von Werken. In unserer Vorstellung sind Werke immer etwas, was wir aktiv angehen, was wir produzieren und unserem Tun entspringen. Wir machen etwas und damit verbunden ist der Leistungsgedanke: ich habe eine Leistung erbracht und die muss nun von Gott honoriert werden. Aber Werke im biblischen Sinne haben weniger mit Leistung als vielmehr mit Frucht zu tun. Der Unterschied Werk zu Frucht liegt darin, dass die Frucht zum Wesen dessen gehört, der sie hervorbringt - es gehört zum Wesen eines Apfelbaumes, dass an ihm Äpfel wachsen die man im Herbst ernten kann, die macht er nicht, sondern die wachsen "einfach" (vgl. Bsp. Mk 4,26ff). Und zum Wesen eines Christen gehören "gerechte" Werke, nicht damit ich vor Gott gerecht werde, sondern weil ich es bin, weil Gott mich durch Jesus gerecht gemacht hat.

3. Wie erlange ich Gottes Gerechtigkeit?

Paulus nennt in diesen Versen den Glauben als den Weg, über den wir Gottes Gerechtigkeit erlangen. Dabei meint Glaube etwas anderes als in unserem heutigen Sprachgebrauch mit diesem Begriff ausgedrückt wird: "etwas nicht wissen". Glauben im biblischen Verständnis meint "vertrauen" (vgl. Heb 11,1).

Wenn ich im biblischen Sinne glaube, dann meint dies, dass ich mich darauf verlasse und vertraue, dass die Botschaft, die mir in der Bibel und hier insbesondere im Neuen Testament übermittelt wird und die damit verbundenen Zusagen, dass sich diese so erfüllen wird. Dabei kommt es darauf an, dass ich auch dann noch an diesen Zusagen festhalte und darauf vertraue dass Gott seine Verheißungen eines Tages auch sichtbar erfüllen und wahrmachen wird, wenn die jetzigen Zeichen und Umstände ein andere Sprache sprechen.

Wir, sie und ich, wir können uns vor Gott keine Gerechtigkeit verdienen oder erwerben! Wer ihnen so etwas sagt, der will sie auf einen Irrweg führen. Gottes Gerechtigkeit können wir uns nicht verdienen sondern sie wird uns geschenkt. Vielleicht denken sie jetzt an die Aussage "Was nichts kostet ist auch nichts wert!". Aber dass wir vor Gott gerecht werden können, das hat eine ganzer Menge gekostet. Dafür hat Gott seinen Sohn geopfert, für uns, für sie und für mich! Und es kostet auch uns die Aufgabe des alten Lebens (Bsp. Mt 8,18; 19,23: Joh 8,11) und die vertrauensvolle Hingabe in Gottes Hand.

Wenn ich mich auf Jesus einlasse, wenn ich ihm nachfolge dann bleiben Auswirkungen und Veränderungen in meinem Leben nicht aus. Dann bringe ich Frucht, ganz automatisch und an der Frucht werden wir, werde ich erkannt werden (vgl. Mt 7,16 oder auch Lk 16,13).

Schluss

Was ist Gerechtigkeit oder was ist gerecht? Eine wichtige Frage, auch wenn wir sie meist nur unzureichend beantworten können und vieles schuldig bleiben. Auch wenn dies so ist, sollten wir an dieser Frage dran bleiben und ist es oberstes Gebot der Menschheit, hier nicht nachzulassen, trotz aller Kritik! Was die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, anbetrifft, da gilt nur eines: sie will und kann nur im Glauben an Jesus Christus empfangen werden. Das sagt Paulus gerade in unseren Versen (V.28) sehr deutlich und wehrt damit jedem Versuch einer Werkgerechtigkeit oder Selbstgerechtigkeit. Gott hat in seiner Souveränität diesen Weg festgelegt. Es ist allein an uns, IHM zu vertrauen und uns auf diesen Weg einzulassen!

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Altenheimstraße 23
89522 Heidenheim/Brenz
07321/910915
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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